Enthuellungen eines Familienvaters
anderen begeben will, darf er sich nicht darauf beschränken, den Entschluß zur Abreise zu fassen. Er muß vor allem beschließen, dort anzukommen. Das ist das Geheimnis. Wenn einer das verstanden hat, macht er sich keine Sorgen wegen der dazwischenliegenden dreihundert Kilometer, wegen der Steigungen, die er zu überwinden hat, und wegen der Tatsache, daß das Motorrad nur eine 65 ccm ist; denn auch der Kubikinhalt ist eine Frage des Glaubens.
Ich brach in der Nacht auf und kam an, als es noch nicht einmal acht Uhr des folgenden Tages war. Als ich in den Ort kam, begegnete ich einem Alten, der zwei Ochsen führte. Ich fragte ihn nach dem Haus, und er zeigte es mir sofort. „Wo die aus Mailand wohnt, mit dem Mann, der auf einem Motorrad kommen soll. Es ist dort, gleich hinter diesem Brunnen.“
Ich betrat eine verlassene Küche. Jenseits des Tisches sah man einen Besenstiel, der sich bewegte. Aber es handelte sich um keine Hexerei, wenn es auch diesen Eindruck machte; denn der Tisch verhinderte zu sehen, daß sich am unteren Ende des Besenstiels die noch im Hemd befindliche Carlotta anklammerte.
„Hallo! Man arbeitet!“ rief ich jovial. Aber meine Überraschung schien Carlotta nicht übermäßig zu begeistern.
„Ich habe noch nicht Toilette gemacht“, antwortete sie beleidigt. „Man wird nie fertig in diesem Haus.“
Dann fügte sie hinzu: „Sie schläft immer.“
Als ich durch die Wohnung ging, kam ich in ein halbdunkles Zimmer, und hier fand ich Margherita in einem großen Bett schlafend. Ich rüttelte sie sanft, und Margherita fuhr auf.
„Nein!“ rief sie und wickelte sich wieder in die Bettücher. „Nein! Heute nicht; heute weigere ich mich! Ich habe auch das Recht, mein Leben zu leben!“
Ich rüttelte sie nochmals, und Margherita steckte den Kopf unter das Kissen.
„Carlotta, laß mich!“ schrie sie. „Laß mich in Ruhe und denke daran, daß eines Tages dein Vater kommen wird und daß wir Abrechnung halten werden!“
„Ich bin Carlottas Vater“, erklärte ich vorsichtig.
Da setzte sich Margherita mit einem Ruck im Bett auf und öffnete die Augen.
In diesem Augenblick kam Carlotta herein, packte den Bettvorleger an einem Zipfel und zog ihn hinter sich zur Tür.
„Schau sie an!“ sagte Margherita. „Schau sie nur an, wie sie ihre Mutter quält und möchte, daß sie sich im Morgengrauen erhebt, um ihr das Frühstück ans Bett zu bringen. Schau sie nur an, die ihre Mutter mit ihren Sarkasmen verfolgt und ihr das Leben vergiftet!“ Carlotta war an die Tür gelangt, sie drehte sich langsam um und blickte Margherita verächtlich an. Dann zuckte sie die Schultern und ging mit dem Teppich hinaus. Man sah, daß sie sich nicht kompromittieren wollte.
„Sie ist schlimm und jähzornig“, seufzte Margherita. „Manchmal zweifle ich daran, daß sie meine Tochter ist.“
Dann kam Albertino mit einem Beefsteak in der Hand.
Er wollte wissen, welches die rechte und welches die verkehrte Seite eines Beefsteaks sei, um es zum Aufwärmen in die Pfanne geben zu können.
„Er ist mein einziger Trost“, seufzte Margherita bewegt. „Er ist gefühlvoll und denkt vernünftig wie ein Mann.“ Sie fuhr ihm zärtlich übers Haar.
„Beim Beefsteak“, sagte sie lächelnd, „ist die rechte Seite diejenige, die oben ist; die Kehrseite ist die, die unten ist. So ist es übrigens bei allen Dingen, die eine obere und eine untere Seite haben. Die obere Seite ist oben, und die untere Seite ist unten, und zwar auf Grund der Schwerkraft.“
Albertino sagte, er habe verstanden, und trollte sich.
Margherita stand auf und ging, das Fenster zu öffnen. Und man sah die fernen Berge, bedeckt von Kastanienbäumen.
„Von vorn gesehen ist jede Aussicht schön“, seufzte Margherita. „Aber wie sieht die Aussicht aus, wenn man sie von der Seite sieht? Hast du dir diese Frage schon vorgelegt, Giovannino?“
„Nie, Margherita. Ich bin ein Tatsachenmensch und begnüge mich mit der äußeren Hülle der Dinge.“
„Im Grunde ist es besser, so zu sein“, bemerkte Margherita lächelnd. „Oft vergiftet es uns das Leben, wenn wir uns immer über alles Rechenschaft ablegen und den Grundstoff der Dinge entdecken wollen.“
Carlotta kam herein und legte mit wenig Anmut den Teppich an die Seite des Bettes zurück. Dann sagte sie verächtlich: „Zum Essen!“
Wir gingen zu Tisch und hatten ein ziemlich gemischtes Frühstück. Zum Schluß gab es Obst; Margherita streckte den Arm nach einem Pfirsich aus, aber Carlotta
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