Entmündigt
wehten vor ihren Augen. Ein Teufelsweib, dachte der Arzt. Sie ist für einen Mann wie das Brot für die Menschheit … man wird es nie satt.
»Hat er Dummheiten gemacht?« fragte er weiter.
»Dummheiten!« Herta Ebert zog einen Schmollmund. »Er hat eine schöne Patientin untersucht und dabei scheint etwas vorgekommen zu sein … Sie hatte es drauf angelegt, und Bernd hat halt was für schöne Frauen übrig.«
»Das ist eine ganz verdammte Geschichte!« rief der Amtsarzt. »Wie hast du es denn erfahren?«
»Er war vorgestern bei mir. Und heute ist ein Brief gekommen, von der Aufsichtsbehörde …« Sie setzte sich auf die Schreibtischkante und küßte den Arzt auf die Augen. Dabei hatte sie die Schuhe abgestreift und strich mit den Fußsohlen zärtlich an seinen Beinen entlang. »Aber so etwas kann doch mal passieren. Nicht wahr? Und zu reparieren ist es auch …«
»Gib den Brief her!« sagte er. Er schob ihre Füße weg, so heftig, daß Herta fast von der Schreibtischkante gestürzt wäre. »Du weißt doch, was so eine Anzeige bedeutet! Ausgerechnet in einer Heilanstalt …«
»Aber das macht's doch auch leichter! Das Mädchen ist verrückt! Eine Nymphomanin! Ein hypererotisches Luder! Glaubt man einer Verrückten denn mehr als einem anständigen Arzt? Das solltest du schreiben als Antwort. Die Beschwerde ganz einfach abweisen. Wo kämen wir hin, wenn jeder Verrückte nur einfach etwas zu behaupten braucht, und schon ist ein Normaler ruiniert!«
Nachdenklich las der Amtsarzt den Brief Giselas und eine kurze Stellungnahme des Oberarztes Dr. Pade: »Ihren Aussagen ist der Wert der Wahrheit zuzuerkennen«, schrieb er ganz klar.
»Eine scheußliche Sache, mein Kind!« sagte der Amtsarzt und stützte den Kopf in beide Hände. »Man muß das genau überlegen …«
Am nächsten Morgen wurde das Schreiben Gisela Peltzners urschriftlich zurückgeschickt. Der Begleittext war sehr grob. Es sei nicht Aufgabe der Behörde, sich mit der sexuellen Phantasie von Geisteskranken zu beschäftigen. Wenn die Anstaltsleitung wirklich an eine Verfehlung ihres Assistenzarztes glaube, so sei der Weg zur Staatsanwaltschaft ja offen. Aber auch dort werde man wohl kaum anders denken, schon weil die Anzeigende durch Fachgutachten, sogar durch ein Obergutachten des Chefs der Anstalt …
Maggfeldt las die wenigen Zeilen und warf den Brief auf einen Aktenstoß. Er wagte es nicht, seinen Oberarzt anzusehen. Denn er wußte, daß er in dessen Blick die Anklage lesen würde: ›Dich trifft die Schuld – du hast Gisela Peltzner für krank und unzurechnungsfähig erklärt!‹
»Dr. Ebert bleibt im Block 3!« sagte der Professor mit schwerer Stimme. »Oder wollen Sie ein Ehrengerichtsverfahren? Für die Klinik und für unseren ganzen Beruf wäre es …«
Pade senkte den Kopf. »Sie haben recht, Herr Professor. Was käme dabei heraus? Aber vielleicht geht Dr. Ebert von selbst.«
»Legen Sie es ihm nahe, Herr Pade.«
»Ihn bitten? Um eine Selbstverständlichkeit auch noch bitten? Nein!« Sein Gesicht wurde hart. Maggfeldt hatte es noch nie so gesehen. »Ich werde ihn von Nachtwache zu Nachtwache hetzen, bis er am Ende ist! Wozu sind wir in einer Irrenanstalt …?«
Frau Paulis bekam noch einmal einen Elektroschock.
Er wurde zu einem Problem. Weniger durch ihren Widerstand als durch die Anhänglichkeit des Bernhardiners Ludwig. Er saß neben dem Bett Frau Paulis' und ließ keinen Arzt, keinen Pfleger und keine Schwester heran. Eine Ausnahme bildete lediglich die Stationsschwester, die das Essen brachte, und ein Stationsmädchen, das die Zimmer putzte. Aber bei jedem weißen Arztkittel knurrte Ludwig. Er richtete sich auf, zog die Lefzen hoch und starrte die Männer mit blutunterlaufenen Augen an. Ein junger Assistenzarzt, der es dennoch wagte, näher als zwei Schritte an das Bett zu treten, fand sich blitzschnell auf dem Boden wieder, lang hingestreckt, den massigen, zentnerschweren Körper des Hundes auf gespreizten Beinen über sich. Am zweiten Tag griff Professor Maggfeldt selbst ein. Aber auch für ihn galt das Gesetz Ludwigs: Bis zur Tür und nicht weiter. Frau Paulis lag im Bett, müde und der Verzweiflung nahe.
»Es ist schrecklich!« sagte sie. »Ludwig folgt nicht. Er knurrt selbst mich an, wenn ich ihn zurückhalten will. Was soll ich tun?«
Etwas in der Stimme seiner Patientin ließ Professor v. Maggfeldt aufhorchen: Sie klang nicht weinerlich wie sonst, sondern volltönend und fest. In ihr war ein Umwandlungsprozeß vor sich
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