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Entmündigt

Entmündigt

Titel: Entmündigt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gegangen, ganz still, völlig unauffällig. Nur der erfahrene Psychiater konnte die Verwandlung auf Anhieb erkennen.
    »Es ist Ihre Schuld, Frau Paulis!« Maggfeldt sprach heftig, als rede er mit einem Gesunden. Er wußte, daß er wieder ein Risiko einging. Aber er wagte es. »Sie haben den Hund falsch erzogen! Wenn ich morgen wiederkomme, läßt er mich herein – oder wir nehmen ihn wieder weg!«
    Es war ein Stichwort, das früher ohne Zögern den Schub ausgelöst hätte: Wegnehmen!
    Aber Frau Paulis nickte nur.
    »Ich werde ihm zeigen, was es heißt, aufsässig zu sein«, sagte sie ruhig. Und dann, mit strenger Stimme, zu dem Hund: »Na, warte …«
    Am Abend nahm sich Frau Paulis den Bernhardiner vor. Zum erstenmal hob sie die lederne Peitsche und zog sie ihm über den Rücken, als er wieder Anstalten machte, bei der Visite auf den Assistenzarzt loszugehen. Erstaunt blieb Ludwig stehen, senkte dann den Kopf und legte sich seufzend zu Frau Paulis' Füßen.
    Am nächsten Morgen trottete er friedlich zum Hauptgebäude mit und wartete draußen im Zimmer, während Frau Paulis nebenan ihren letzten Elektroschock bekam. Nur als man die Ohnmächtige auf dem fahrbaren Bett aus dem OP rollte, stellte er sich verwundert auf, beschnupperte den Körper, und seine Nackenhaare sträubten sich wieder.
    »Achtung!« rief Dr. Pade. Die Pfleger stoben auseinander und ergriffen Stühle, um zuzuschlagen, falls der Riesenhund sie anspringen würde. Pade suchte Schutz hinter dem Bett. In der Tür stand Professor v. Maggfeldt und sah verblüfft auf den kriegsmäßigen Zustand. Dann lachte er laut und kam auf Ludwig zu, kraulte ihm das dichte Fell und hielt ihm die schlaffe Hand von Frau Paulis an die feuchte Nase. Ludwig schnupperte, dann leckte er die Hand, öffnete die Schnauze und packte ganz sanft die weiße Hand mit seinen Zähnen, so, wie die Hündinnen ihre Jungen forttragen, indem sie sie am Nackenfell packen.
    Am nächsten Morgen fühlte sich Frau Paulis so wohl wie nie in den vergangenen Jahren. Ihr Blick war frei und nicht mehr flackernd, sogar ihre Haut schien besser durchblutet zu sein, sie war rosiger, nicht mehr von der Farbe alten, vergilbten Pergamentes. Es war, als gehe in ihr ein Licht auf und erleuchte den ganzen Körper.
    »Sie ist geheilt«, sagte v. Maggfeldt zu Oberarzt Dr. Pade, als er von der Morgenvisite zurückkehrte. »Sie ist eine der seltenen Fälle, bei denen ich nicht nur sagen kann: Sie ist gebessert, sie kann in den sozialen Prozeß wieder eingereiht werden … nein, ich kann sagen: Sie ist geheilt! Die Seele hat ihren Schock verloren. Das Grauenhafte, das sie bis gestern nicht überwinden konnte, der Tod ihres Sohnes bei Stalingrad, ist nunmehr eine Erinnerung geworden an das schreckliche, schmerzhafte Erlebnis, wie es so viele Mütter hatten. Aber es zerfleischt nicht mehr ihre Seele. Wir werden Frau Paulis noch sechs Wochen zur Beobachtung hierbehalten und dann kann sie entlassen werden … mit Ludwig …«
    »Gott sei Dank!« Dr. Pade seufzte. »Ich hatte schon die Befürchtung, daß wir jetzt auch eine Station für schwierige Hunde einrichten …«
    Gisela Peltzner wurde eine Woche später verlegt.
    Sie kam in den Pavillon I und erhielt das Zimmer 11. Nach der endgültigen Einstufung in die Krankheitsgruppe, nach der erklärten Entmündigung, war sie eine Patientin wie jede andere, die in den Pavillons im herrlichen Park des weißen Schlosses wohnten.
    Zwar war sie eine Patientin 1. Klasse, für die Ewald Peltzner jeden Monat dreitausend Mark an Professor v. Maggfeldt überwies mit der Bitte, es der armen, kranken Nichte an nichts fehlen zu lassen. Aber sie war bei allem Luxus, der sie umgab, eine Gefangene.
    Nach dem Selbstkontrollsystem der Anstalt mußte Gisela nach ihrer Verlegung in den Pavillon I mit zwei wirklich geisteskranken Frauen zusammenleben.
    Die eine war ein verhältnismäßig harmloser Fall und begrüßte sie mit freudigem Handschlag. Sie hieß Monika Durrmar, hatte ihr Abitur in einer Klosterschule gemacht und war mit dem Wahn nach Hause zurückgekehrt, eine Braut Christi zu sein und von ihm jede Nacht besucht zu werden. Morgens lag sie mit einfältigem, verklärtem Gesicht im Bett und berichtete leise und verzückt von ihren Erlebnissen. Tagsüber sprach sie selten davon. Nur ihre Augen glänzten stolz und glücklich.
    Die zweite Kranke hieß Else Pulaczek, war in Krakau geboren und litt seit ihrer Entlassung aus dem Frauen-KZ Ravensbrück an krankhaft übersteigerter Angst vor

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