Entmündigt
geworden war. Ihre Augen sahen Pade mit fiebrigem Glanz an, als er sich an ihr Bett setzte und ihre schlaffe, kalte Hand in seine kräftigen Hände nahm.
»Na, wie geht's denn?« fragte er lächelnd.
»Das fragen Sie?«
»Was war eigentlich gestern los?«
Gisela drehte den Kopf zur Seite. Über ihr bleiches Gesicht flog eine hektische Röte.
»Sie glauben es mir ja doch nicht. Keiner glaubt mir hier. Ich gelte ja als Irre …«
Dr. Pade hielt ihre Hand fest, die sie ihm entziehen wollte. Mit dem feinen Gefühl des Nerven- und Seelenarztes spürte er, daß er dabei war, eine Wahrheit zu finden, die ihn schon im voraus erschreckte.
»Sie sollten Vertrauen haben«, sagte er leise.
Gisela sah ihn von der Seite an. Forschend, fragend, in seinen Gesichtszügen lesend.
»Was hat der Herr Doktor …« Sie zögerte, sprach Eberts Namen nicht aus und begann wieder: »Was hat er Ihnen und dem Professor erzählt?«
»Eine Geschichte, die … ich … ihm nicht glaube.«
»Er war so gemein! Er hat mich angefallen, als ich in Ohnmacht lag. Wäre ich nicht aufgewacht …« Sie schwieg und drehte den Kopf wieder weg.
»Sie müssen mir alles erzählen – so schwer es auch sein mag. Können Sie sich genau erinnern?«
»Ja.« Gisela Peltzner sprach stockend und mit abgewandtem Gesicht. »Ich lag … auf dem Bett, und er … beugte sich über mich, als ich aufwachte … Es war eindeutig, was er wollte. Ich stieß ihn weg, er kam wieder …« Sie zog die Decke bis zum Kinn. »Wollen Sie noch mehr wissen?« flüsterte sie. Die Erinnerung nahm ihr fast die Stimme.
»Und dann?« fragte Pade ruhig und sachlich.
»Ich habe mich gewehrt, mit Händen und Füßen. Er war wie ein wildes Tier! ›Du kannst machen, was du willst … du bist irr!‹ hat er immer wieder gesagt. ›Keiner wird es dir glauben.‹ Und es glaubt mir ja auch keiner. Er hatte recht …«
Gisela zog die Decke über ihr Gesicht und weinte.
Leise verließ Dr. Pade das Zimmer. Er ging hinüber zur Station.
Dr. Ebert war gerade dabei, einen Neueingang zu untersuchen.
»Kommen Sie mal mit, Herr Kollege!« sagte Dr. Pade hart und unvermittelt. »Ich habe mit Ihnen zu reden.«
Verblüfft über diese unpersönliche Art der Rede folgte Ebert seinem Oberarzt.
In Pades Zimmer waren sie allein hinter einer dick gepolsterten Tür. Ein wenig unsicher blieb Ebert an der Wand stehen.
»Etwas Besonderes?« fragte er.
»Ich komme von Gisela Peltzner, Herr Kollege …«
»Und? Auch angefallen worden?«
»Wir sind unter uns …« Pades Stimme sank zu einem leisen Zischen herab. »Haben sie mir nichts zu erklären, Dr. Ebert?«
»Wie kommen Sie mir vor?« Dr. Ebert rettete sich in die Frechheit. »Wenn in einem Irrenhaus den Irren mehr geglaubt wird als den Ärzten, dann lassen Sie uns doch die Fronten wechseln. Wir ziehen in die Pavillons und die Irren praktizieren …«
»Was soll den Irren geglaubt werden?« fragte Dr. Pade wieder laut. Ebert zuckte zusammen. Er erkannte den Fehler, den er gemacht hatte. Er war nicht mehr zu reparieren. Brüsk drehte er sich ab und griff zur Tür. Sie war wie alle Türen von innen klinkenlos. Der Schlüssel war abgezogen. Dr. Ebert fuhr wie von einem Schlag getroffen herum.
»Schließen Sie sofort auf, Dr. Pade!« sagte er. Plötzlich stand blanke Angst in seinen Augen. Seine Finger spreizten und schlossen sich wieder.
»Ich erwarte Ihre Erklärung!«
»Wenn Sie nicht sofort …« Dr. Ebert ballte die Faust. Er trat ein paar Schritte vor und hob sie hoch. Dr. Pade wich keinen Schritt zurück. Er sah Dr. Ebert mit großen Augen an, und in diesem Blick las Dr. Ebert ein Urteil, das seine Arme schlaff werden ließ. »Sie haben keine Beweise …«, stotterte er. »Überhaupt nichts haben Sie …«
»Das stimmt. Ich habe nur das Geständnis eines Mannes, den ich nicht mehr länger als Arzt betrachte! Ich werde Fräulein Peltzner ermutigen, bei der Staatsanwaltschaft Anzeige wegen versuchter Notzucht zu erstatten, und ich werde die Anzeige selber weiterleiten! Im übrigen nehme ich an, Sie ziehen es vor, vorher aus der Anstalt auszuscheiden. Sie können es dem Chef gleich sagen.«
Dr. Pade ging an Dr. Ebert vorbei, als sei er schon längst nicht mehr da. Er schloß die Tür auf und trat zurück.
Wortlos verließ Dr. Ebert das Zimmer des Oberarztes. Noch im Gang zog er seinen weißen Kittel aus. Dann eilte er in sein Zimmer, rief in der Stadt an und verließ kurz darauf mit seinem Wagen in schneller Fahrt das Klinikgelände.
Dr.
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