Entmündigt
Ebert kam nach drei Stunden in die Anstalt zurück. Er war zufrieden, zog seinen weißen Kittel wieder an und meldete sich bei Professor v. Maggfeldt. Als er eintrat, sah er Oberarzt Dr. Pade hinter dem Professor stehen. Verbindlich lächelte Dr. Ebert seinen Chef an.
Maggfeldt räusperte sich. Sein Gelehrtengesicht zeigte Spuren tiefster Enttäuschung und Erschütterung. Was Dr. Pade ihm berichtet hatte, war wie ein Schock gewesen. Sofort war er zu Gisela Peltzner gegangen und hatte sich den Vorfall berichten lassen. Schonungslos hatte er sie nach Einzelheiten gefragt, hatte ihre Hemmungen weichgeknetet und war zu der Überzeugung gekommen, daß diese Ungeheuerlichkeit wirklich nicht das Phantasieprodukt einer manisch Kranken, sondern die Wahrheit sein mußte. Eine Tatsache, der Professor v. Maggfeldt in den vielen Jahren psychiatrischer Praxis zum erstenmal gegenüberstand.
»Ich dachte, Sie wollten mir eine Erklärung abgeben, Dr. Ebert?« sagte er schwerfällig.
»Ich wüßte nicht, welche, Herr Professor. Es sei denn, ich wollte mich über das unkollegiale Verhalten des Herrn Oberarztes beschweren …«
»Das ist doch wohl das Letzte!« Pade schoß um den Schreibtisch herum auf Ebert zu. »Ein verkommener Arzt, der eine ohnmächtige Patientin …«
»Herr Professor!« Dr. Ebert hob beide Hände. »Ich weiß, daß ich in einer Irrenanstalt bin …«, sagte er anzüglich. Doch bevor er weitersprechen konnte, unterbrach ihn die laute Stimme Maggfeldts. Sie hatte alle kollegiale Rücksichtnahme verloren, sie war kalt und duldete keinen Widerspruch mehr.
»Ich werde die Sache nicht auf sich beruhen lassen! Sie sind in die Männerabteilung, Block 3, versetzt! Wäre diese Entgleisung nicht gerade in einer Heilanstalt geschehen, würde ich Sie öffentlich zur Rechenschaft ziehen! So bleibt uns nur der interne Weg übrig. Betrachten Sie das nicht als irgendeine Form der Schonung für Sie, Dr. Ebert. Ich wähle diesen Weg ausschließlich, um den Ruf des Hauses und nicht zuletzt den Ruf der ganzen Psychiatrie zu retten! Nicht auszudenken, wenn bekannt würde, daß in einer Heilanstalt für Geisteskranke die weiblichen Patienten von den Ärzten angefallen werden!« Der Professor atmete tief. Die Erregung lastete auf seinem Herzen. »Gehen Sie jetzt. Das andere findet sich noch!«
Mit gesenktem Kopf entfernte sich Dr. Ebert. Block 3 war die gefürchtetste, die verhaßteste Station der Anstalt. Die Sammelstelle der Delirium-tremens-Kranken und der progressiven Paralytiker. Ein Inferno zerstörten Geistes. Eine kleine Hölle.
In der Eingangsdiele von Block 3 traf er auf drei massige Pfleger in blauweiß gestreiften Hosen und Kitteln, die einen um sich schlagenden Mann zum Bad schleiften. Widerlicher Gestank umgab sie und breitete sich im ganzen Hause aus. Der Tobende hatte Exkremente an die Wand geschmiert.
Dr. Ebert kannte diese Anfälle. Sie waren hier an der Tagesordnung. Die ›Stinkstation‹ wurde sie deshalb in der Anstalt genannt. Von oben, durch das ganze Haus gellend, heulte jemand wie eine Sirene. Dr. Ebert zog die Schultern hoch.
»Ich komme gleich ins Bad«, sagte er zu den drei Pflegern. »Den schaffen wir auch noch …«
Er sah zu, wie sie den Tobenden wegschleiften. Er ging den langen Gang entlang, um sich beim 1. Stationsarzt zu melden.
Die Anzeige Giselas brachte Dr. Pade selber zur Post. Sie ging zur Aufsichtsbehörde der Anstalt, die sie sofort zur Nachprüfung an den Amtsarzt weiterleitete.
Im Vorzimmer des Amtsarztes saß ein grünäugiges Mädchen, keß, hochbeinig und formenreich. Tagsüber arbeitete sie als medizinisch-technische Assistentin, nach Dienstschluß als Freizeitbeschäftigung ihres Chefs. Sie hieß Herta Ebert und war die Schwester Dr. Bernd Eberts.
Als die Post eintraf, suchte sie den Brief der Aufsichtsbehörde heraus, steckte ihn in ihre Handtasche und brachte die anderen Briefe zu ihrem Chef. »Ich habe mit dir nachher etwas zu besprechen«, sagte sie. »Es ist mir sehr wichtig …«
»Na, rück schon 'raus mit der Sprache – 'n Kleid, Schuhe, 'ne Handtasche?« fragte der Amtsarzt.
»Nein. Es handelt sich um Bernd.«
»Um deinen Bruder?«
»Ja. Er ist in eine dumme Situation gekommen. Ganz unschuldig. Ich muß dir das nachher genau erklären. Du hast bestimmt Verständnis dafür …«
»Ist irgend etwas in der Heilanstalt?« fragte der Amtsarzt. Er war plötzlich sehr hellhörig und legte die Post schnell aus der Hand. Herta Ebert nickte. Ihre überlangen Haare
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