Entmündigt
stürzte herbei. »Achtung!«
Es war zu spät. Mit einer verzweifelten Kraft hatte der Kranke zugestoßen. Die lange, spitze Schere fuhr Dr. Ebert unterhalb des Kinnes in den Hals, durchschnitt Kehlkopf, Speise- und Luftröhre und drang seitlich wieder heraus, dicht neben den Halswirbeln.
Mit einem ungeheuer erstaunten Blick starrte Dr. Ebert den Paralytiker an. Dann riß er seinen Mund auf, Blut strömte heraus, ein Gurgeln vermischte sich mit einem hellen Stöhnen … dann sank Dr. Ebert um, in die Arme des Pflegers Friedrich, und verlor das Bewußtsein.
Der Paralytiker sah hinab auf den blutenden Arzt. Dann stieß er plötzlich einen hellen Schrei aus, wie der Triumphschrei eines Hengstes klang es, er hüpfte um Friedrich und Dr. Ebert herum, mit eckigen, ekstatischen Bewegungen, lachend und jubelnd. Schließlich riß er die Tür auf und rannte, nackt wie er war, davon, durch das ganze Haus, brüllend und kreischend, die Pfleger, die ihn aufhalten wollten, mit seinen Fäusten wegschlagend.
»Er ist tot!« kreischte er. »Er ist tot! Tot! Tot!«
Aus den Zimmern antwortete ihm vielfaches Gebrüll. Keiner fragte, aber jeder wußte, wer ›er‹ war. In der oberen Etage, wo die Deliriumkranken lagen, stimmte jemand einen Choral an, in den die anderen Stimmen grölend einfielen. Es war, als habe sich die Hölle geöffnet und spie die heulenden Seelen aus.
»Er ist tot! Tot!«
Mit einem Satz sprang der Paralytiker auf die Fensterbank, warf sich durch die Scheibe und flog mit ausgebreiteten Armen, wie ein Riesenvogel, durch die Luft. Er zerschellte unten vor Block 3 auf den Betonplatten, mit denen man die Einfahrt gepflastert hatte.
Professor v. Maggfeldt und Dr. Pade operierten sofort. Sie erweiterten die Stichwunden, nähten die Schlagader und die Luftröhre, während Dr. Ebert an die Bluttransfusion angeschlossen war.
Das Wettrennen gewann der Tod. Unter den Händen Maggfeldts erlosch der Herzschlag.
»Coramin!« rief der Professor.
Mit einer langen dünnen Nadel stach er links neben dem Sternalrand in die Brust Dr. Eberts, bis hinein ins Herz, in den rechten Ventrikel, und spritzte das Coramin direkt in das Herzinnere. Nach dieser verzweifelten Injektion riß er die Nadel wieder heraus und begann mit einer Herzmassage.
»Mehr Blut! Schneller!« schrie er Dr. Pade an.
Es war umsonst. Dr. Ebert kehrte nicht mehr ins Leben zurück. Wohl ging noch einmal ein Flattern durch seinen Körper, es war, als schüttele sich das Herz. Dann erlosch alles. Professor v. Maggfeldt richtete sich auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Furchtbar!« sagte er leise. »Es ist gar nicht abzusehen, was jetzt folgt! Man wird wieder über uns herfallen! Seht, die Irrenärzte! Keine genügende Aufsicht, kein genügender Schutz der Umwelt vor den Irren! Handelt die Psychiatrie leichtfertig?! Was geht in den Heilanstalten vor? – Ich sehe schon die Balkenüberschriften in der Sensationspresse! Von jeher stehen wir ja im Kreuzfeuer der Kritik, als ob wir selbst Verrückte wären!«
Er sah auf den schlaffen Körper Dr. Eberts und auf den aufgeschnittenen Hals. Der Pfleger Friedrich stand daneben mit gefalteten Händen. Er war von oben bis zu den Schuhen mit Blut besudelt. Im Nebenraum lag auf einem Tisch die Leiche des Paralytikers und Mörders.
»Es hilft jetzt alles nichts«, wandte sich Maggfeldt an Dr. Pade, »ich muß die Polizei und die Staatsanwaltschaft rufen.« Er seufzte noch einmal und verließ dann schnell den OP.
Dr. Pade sah seinem Chef nach. Für einen Augenblick mußte er an Gisela Peltzner denken. Sie war der Anlaß zur Versetzung Eberts nach Block 3 gewesen.
Und Oberarzt Dr. Pade empfand plötzlich eine unerhörte Hochachtung vor dem, was man Schicksal nennt.
Mit Spannung erwartete Dr. Gerd Hartung das Eintreffen Ewald Peltzners in St. Tropez.
Monique hatte ihm berichtet, daß Papa kommen würde. Warum, das hatte sie nicht erwähnt. Ihr Gedanke, Hartung zu heiraten, war vorläufig nur ihr ureigenster Wunsch, von dem der schöne, kluge Mann keinerlei Ahnung hatte. Warum auch, dachte sie. Papa wird es ihm schon beibringen, und da Gerd ein Gentleman ist, wird er nicht anders können, als ja zu sagen …
Dr. Hartung hatte ganz andere Gedanken. Er wußte, daß Peltzner ihn nicht kannte, schon gar nicht als Freund Dr. Buddes. Er würde also dem jungen Rechtsanwalt unbefangen gegenübertreten, völlig ahnungslos, welch unerbittlichen Feind er vor sich hatte. Das würde die Unterhaltung erleichtern und
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