Entmündigt
sprang mit einem Hechter über sie hinweg und schwamm ihr davon.
»Du Ekel!« rief sie ihm nach. »Aber warte, heute schließe ich meine Türe ab!«
In der umgestalteten, modernisierten Peltzner-Villa saß Ewald Peltzner sehr nachdenklich und etwas ärgerlich in der Halle und las einen Brief, den er aus St. Tropez erhalten hatte.
Monique, das dumme Luder, schrieb, daß sie sich verheiraten wolle. »Nicht mit einem dieser Playboys – so etwas heiratet man nicht –, sondern mit einem deutschen Rechtsanwalt, einem lieben, lieben Jungen, der so klug ist wie kein anderer Mann.«
»Na ja, so klug kann er wiederum nicht sein«, brummte Ewald Peltzner vor sich hin, »sonst würde er nicht an Monique hängenbleiben …«
Noch ein zweiter Brief war angekommen. Aus London. Von Heinrich Fellgrub, Direktor der britischen Zweigfirma. Der gute Heinrich schrieb sehr lau und bat darum, so schnell wie möglich aus England abgelöst zu werden. Er vertrug das Klima nicht, die Nebel setzten sich in seinen Bronchien fest, er hatte einen Dauerschnupfen und überhaupt … London sei nicht das richtige Pflaster für ihn. Am liebsten würde er weit wegziehen, nach Hawaii oder nach Kanada oder nach Tokio, schrieb er. Die ganze Welt wäre ihm recht, nur nicht London.
Ewald Peltzner seufzte. Eine Familie hatte er! Eine schöne Bande! Schwester Anna hielt sich vor Toresschluß noch kräftige junge Butler und kleidete sich wie ein Teenager, Neffe Heinrich weichte in Londons Nebel auf, Tochter Monique wollte anscheinend blindlings heiraten, Nichte Gisela … Ewald Peltzner zog die Augenbrauen zusammen. Gisela – vielleicht starb sie. Professor v. Maggfeldt hatte ihn angerufen und mitgeteilt, daß ein rätselhafter Nervenzusammenbruch Gisela um Monate zurückgeworfen habe, ein Nervenfieber hätte den ganzen Körper erfaßt. Man mache sich ernste Sorgen um sie. Es habe den Anschein, daß die innere Kraft zerbrochen sei und daß Gisela nicht wieder gesund werden wolle!
Ewald Peltzner hatte diese Nachricht mit einer schrecklichen Befriedigung gehört. Das war die einfachste Lösung aller Probleme. Mit Giselas Tod wäre das sorglose Leben der Familie gerettet. Auch die Vergangenheit würde mit ihr sterben. Die Erinnerung an den Tod Bruno Peltzners, über dem noch immer der Nebel des Geheimnisses lag.
Ewald fror plötzlich, als er an diesen Tag dachte. Dann raffte er die Briefe zusammen, steckte sie in seine Tasche und ging zur Hausbar, um sich zu stärken.
Dabei fiel ihm ein, daß er eigentlich eine Rundreise machen könnte. Erste Station St. Tropez, wo er sich diesen Knaben ansehen konnte, der es wagte, Monique auf Heiratsgedanken zu bringen. Dann nach London, um Heinrich die Leviten zu lesen.
Auf der Rückreise lag ein Abstecher nach Schweden zu neuen Stahlabschlüssen nahe.
Und außerdem konnte man Henny mitnehmen. Henny, seine Neuentdeckung in der Exportabteilung. Schließlich reisten auch andere Generaldirektoren in Begleitung …
Ewald Peltzner ließ die Koffer packen.
Als Heinrich Fellgrub am späten Abend, nach einem Essen im Club, nach Hause kam und der Schlüssel beim Aufschließen klemmte, hatte er bereits ein unangenehmes Gefühl. Es steigerte sich zur Angst, als er unter der Tür des Herrenzimmers einen dünnen Lichtschimmer in die dunkle Diele fallen sah. Mit zitternden Händen zog er seinen Mantel aus, hängte seinen Regenschirm an den Ständer, nahm eine geladene Pistole aus der Tasche, entsicherte sie und stieß mit dem Fuß die Tür zum Herrenzimmer auf. Gleichzeitig hob er die Pistole.
In einem der Sessel saß unter der Stehlampe Dr. Budde und las in der ›Times‹. Er sah kurz auf, als Fellgrub die Tür aufstieß, und sagte gemütlich:
»Kommen Sie nur 'rein, Vetter Heinrich! Und das Knallding da stecken Sie bitte weg. Ich bin ein leidenschaftlicher Pazifist und hasse alles Militärische.«
»Wie kommen Sie hier herein?« fragte Heinrich Fellgrub heiser.
»Durch die Tür, wie es anständige Menschen tun. Die englischen Türschlösser sind – wie alles in diesem Land – sehr konservativ. Sie setzen einem Dietrich keinen Widerstand entgegen.«
»Das ist Einbruch!« schrie Fellgrub.
»Natürlich! Wollen Sie die Polizei rufen? Bitte, dort steht das Telefon. Es ist weder gestört, noch habe ich die Schnur durchgeschnitten. Auch hindern werde ich Sie nicht. Man wird mich dann verhaften, ich werde eine halbwegs glaubhafte Erklärung abgeben, man wird mich freilassen … was haben Sie damit gewonnen? Ich werde
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