Entmündigt
schützen. Ich muß mich distanzieren, das werden Sie einsehen …«
»Ich habe auch nichts anderes erwartet!« Professor v. Maggfeldt setzte sich schwer. Seine Beine waren müde und trugen den Körper nicht mehr. Er wußte, was diese grauenhaften Morde für Staub aufwirbeln würden, welche Geschütze man gegen ihn auffahren ließe … Er nahm von Dr. Pade eine Zigarette und rauchte in hastigen Zügen an.
»Sie behalten die beiden hier?« fragte er.
»Natürlich.« Der Staatsanwalt war steif wie ›Lots Weib‹. »Hier sind sie sicher verwahrt … Bei uns wird nicht gekegelt!«
Das weiß er also auch schon, dachte Dr. Pade. Sicherlich haben die beiden Psychopathen es erzählt. Plötzlich tat ihm sein Chef leid. Er sah, wie der Idealismus des großen Mannes wieder einen Riß bekommen hatte, und er spürte, wie er verzweifelt versuchte, sich an seinen Spruch ›Es gibt keine bösen Menschen, es gibt nur kranke Menschen‹ zu klammern. War es noch möglich?
»Kann ich sie sehen?« fragte Maggfeldt. Der Staatsanwalt sah den Leiter der Mordkommission an. Dieser nickte leicht.
»Bitte …«
Maggfeldt erhob sich. Als Dr. Pade ihn begleiten wollte, schüttelte er den Kopf.
»Nein. Bleiben Sie, Pade. Ich geh' allein …«
Es waren lähmende, dumpfe Minuten, die Dr. Pade in dem Zimmer verbrachte, bis Maggfeldt wieder zurückkam aus dem Zellengang. Er ging nach vorn gebeugt. Sein Gesicht war bleich, seine Haare schienen noch weißer geworden zu sein.
»Na?« fragte der Staatsanwalt kurz. Der Kopf Maggfeldts hob sich etwas.
»Es sind Kranke, Herr Staatsanwalt …«
»Ist das eine Entschuldigung, Herr Professor?«
»Nein! Aber ändern Sie die Schöpfung, wenn Sie es können. Bitte … ich wäre Ihnen unendlich dankbar … Ich kann es nicht!«
Es geschah, was vorauszusehen war. Die Presse fiel über Maggfeldt und seine Klinik her. Kein gutes Fädchen blieb an der Psychiatrie. Der Bruder des ermordeten Taxifahrers sagte im Fernsehen: »Man soll mich zwei Minuten mit den Mördern allein lassen … dann gäb' es keine Probleme und auch keinen Prozeß mehr! Und so wie ich denken Millionen!«
Professor v. Maggfeldt las und hörte sich an, was geschrieben und gesprochen wurde. Er gestand sich ein, daß alle recht hatten. Eine Heilung dieser triebhaften Lustmörder war unmöglich, und wie gefährlich sie werden konnten, trotz schärfster Einschließung, das hatten sie demonstriert. Zwei Menschen lebten noch, vier Kinder hätten ihren Vater behalten, wenn diese beiden Irren bei der klaren Diagnose ihrer Unheilbarkeit …
»Nein!« sagte Maggfeldt laut. »Nein! Nein! Was heute unheilbar ist, kann morgen heilbar sein! Sie alle, alle haben eine Chance, die über Nacht kommen kann. Nirgendwo ist der Mensch versucht, so an Wunder zu glauben wie gerade in der Psychiatrie. Ein noch unbekannter Stich in ein noch unbekanntes Nervensystem, eine Droge, ein Reiz … alles kann plötzlich wie das Aufziehen eines Vorhanges sein, der einen dunklen Raum erhellt. Solche Wunder geschehen unverhofft … vielleicht hat morgen oder in einem Monat oder in zehn Jahren die Geisteskrankheit alle Schrecken verloren wie ein entzündeter Blinddarm, der noch vor sechzig Jahren absolut tödlich war!«
Oberarzt Dr. Pade saß Maggfeldt gegenüber und hörte stumm diesen Ausbruch an. Er kam sich vor wie ein Aussätziger. Leute, die ihn kannten und früher freundlich grüßten, sahen an ihm vorbei. Ewald Peltzner hatte sofort am Morgen, als die grauenhafte Tat bekannt wurde, angerufen und gefragt, ob die Möglichkeit bestünde, daß seine Nichte auch ausbrechen könnte, um in ihrem Haßwahn die ganze Familie Peltzner umzubringen. Und es blieb nicht der einzige Anruf. Immer mehr festigte sich die Ansicht in der Bevölkerung: Nicht die Kranken waren schuld, sondern die Ärzte!
In diesen Tagen der größten Belastung der Klinik wurde Gisela Peltzner aus ihrem Dauerschlaf aufgeweckt. Oberarzt Dr. Pade übernahm die schwierige Aufgabe. Professor v. Maggfeldt hatte zu einem Referat nach Bonn fahren müssen.
Nach dem langsamen, genau gesteuerten Erwachen Giselas und der ersten festen Nahrung in Form eines dicken Breies aus Gemüsen fühlte sich Gisela kräftig, gesund und wirklich ausgeruht. Ihre Nerven waren wie erneuert.
»Da sind wir wieder!« sagte Dr. Pade fröhlich, als er ins Zimmer kam. »Na, wie fühlen Sie sich?«
»Grandios!« Gisela hatte sich frisiert und ein wenig geschminkt. Sie sah entzückend aus und war innerlich gelöst und von einer
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