Entmündigt
dir zu ihm kein Weg mehr, solange René im Haus ist!«
»Aber ich kann René nicht weggeben …«, sagte Anna stockend, und plötzlich weinte sie.
»Warum kannst du's nicht?«
»René ist der letzte Hauch von Jugend, der mir geblieben ist. Verstehst du das denn nicht, Ewald? Eine Frau ist anders als ein Mann. Männer haben es leichter … sie bleiben jung, sie werden interessanter, wenn die Schläfen weißer werden. Aber eine Frau … es ist schrecklich, Ewald. Ich will nicht alt werden, nicht alt sein … ich will wissen, daß ich noch leben kann …«
»Es wird ein teurer Spaß werden!« Ewald Peltzner stand auf. »Ich garantiere dir, daß du in spätestens drei Monaten nicht nur arm bist, sondern auch als Angeklagte vor Gericht sitzt! Heinrich hat nichts mehr zu verlieren … das Wertvollste für ihn, seine Mutter, hat er verloren! Alles andere ist für ihn uninteressant. Das ist zwar auch anomal … aber unsere Familie besteht nun mal aus perversen Typen! Man kann's nicht ändern, nur vertuschen! Überleg es dir, Anna … René kostet dich ein Vermögen, an ihm richtest du dich und uns zugrunde. So viel ist der Traum von Jugend nun auch nicht wert …«
Anna Fellgrub antwortete nicht. Sie trat vor den Spiegel und starrte auf ihr von den Tränen aufgeweichtes Gesicht. Ich bin häßlich, dachte sie, und diese Erkenntnis drückte ihr fast das Herz ab. Wirklich, ich sehe aus wie eine Karikatur. Und mein Körper ist faltig und schlaff. Wer mich liebt, muß blind sein. Oder er tut's nur des Geldes wegen wie René. Ich muß ihn doch abstoßen … es muß ihn doch ekeln vor mir … Aber er läßt es sich nicht anmerken, er nimmt mich, weil ich ihn dafür bezahle. Ich kaufe mir einen Traum, wie andere Morphium und Kokain …
Sie senkte den Kopf und kehrte dem Spiegel den Rücken zu. In diesem Augenblick empfand sogar Ewald Peltzner so etwas wie Mitgefühl. Das kam so selten vor, daß er über sich selbst heftig den Kopf schüttelte.
»Ich werde ihm 100.000 Mark geben!« sagte Anna leise.
»Wieviel?« Das Mitgefühl erlosch jäh.
»Ich will, daß er für das, was er mir gegeben hat, für alle Zeiten gesichert ist. Du weißt nicht, was es für eine Frau bedeutet, geliebt zu werden …«
»Es ist zum Haareausraufen!« Peltzner stand auf. Dabei stieß er ein Tischchen mit Flakons, Salbentöpfchen, Parfüm und Creme um. Eine süße Duftwolke quoll um ihn auf. »Den Preis werde ich mit ihm ausmachen. Ich will nur wissen, ob du endlich vernünftig wirst!«
»Ich opfere mich …«
»Was das schon ist!« Ewald Peltzner packte endlich die nackte Wut. Er wollte nur noch kränken, beleidigen. »Du dich opfern? Womöglich deine Jugend, was?«
»Du bist ein Vieh!« schrie Anna. »Noch ein Wort, und ich bleibe bei René …«
»Verdammt!« Ewald Peltzner senkte den Kopf. Er war hochrot im Gesicht. Die Grenze seiner Duldsamkeit war erreicht. »Verdammt!« stöhnte er. »Ich hole das nach, was unser Vater bei uns versäumt hat!« Mit drei großen Schritten war er vor Anna Fellgrub, hob seinen Stockschirm und ließ ihn auf sie niedersausen. Drei-, viermal … dann hielt er inne und lehnte sich gegen die seidentapezierte Wand.
Anna Fellgrub hatte die Schläge wortlos, ohne Gegenwehr ertragen. Sie starrte auf ihren schwer atmenden Bruder, als habe sie gar nichts gespürt. Erst nach einer ganzen Zeit des Schweigens wich die Erstarrung von ihr, sie ging zum Spiegel, überpuderte schnell ihr Gesicht und sah durch den Spiegel auf Ewald Peltzner.
»Ich tue, was du sagst!« sagte sie mit einer seltsam klaren und nüchternen Stimme. »Aber ich will dich nie wiedersehen. In meinem ganzen weiteren Leben will ich dir nie mehr begegnen, hörst du?«
»Das wird sich nicht vermeiden lassen. Ich bin das Oberhaupt der Familie, und …«
»Ich werde nicht mehr zur Familie gehören! Ich ziehe mit Heinrich nach Tokio. Dann kannst du deine weiteren Gemeinheiten hier allein auskochen … Ich hasse dich …«
»Gut, gut!« Peltzner nickte, als säße sein dicker Kopf auf einer federnden Spirale. »Nach Tokio. Das ist mir das liebste.«
Der Butler René stand gegen das Fenster gelehnt, als Anna und Peltzner in den Salon kamen. Er versuchte, in Annas Augen zu lesen, aber sie senkte rasch den Blick, als sie es bemerkte. Da wußte er, daß Peltzner der Stärkere geblieben war. Er hob die Schultern, während er die Hände in die Hosentaschen steckte.
»Mir ist's auch lieber so!« sagte er, gemein grinsend. »Manchmal wurde mir der Dienst zu viel
Weitere Kostenlose Bücher