Entrissen
würde er zu ihr zurückkehren und sie würden endlich als richtige Familie zusammenleben. Ganz und gar. Sie öffnete die Augen. Lächelte. Sie war zufrieden mit ihrem Leben.
Für den Augenblick.
8
»Na? Wie wäre es mit einem Kaffee?«, ertönte eine glockenhelle Stimme direkt hinter Marina.
Marina drehte sich um. Caroline und einige andere Frauen aus dem Kurs waren auf dem Weg zum Ausgang.
»Wir fahren hinterher manchmal noch in die Stadt«, erklärte Caroline. »Auf einen Kaffee ins Life - na ja, jedenfalls diejenigen von uns, die noch Kaffee trinken dürfen. Dazu genehmigen wir uns noch eine Kleinigkeit zu essen.«
»Widerspricht das nicht allem, was Sie hier gerade gemacht haben?«, fragte Marina.
Caroline zuckte lachend mit den Schultern. »Was wäre das Leben ohne ein paar kleine Sünden?«
Marina lächelte. »Das ist wirklich nett, danke, aber ich muss zurück zur Arbeit.«
Caroline, das fiel Marina nun auf, war in die neueste Designer-Umstandsmode gekleidet. Darüber hinaus hatte sie es sogar geschafft, in der Zeit, die Marina allein fürs Duschen und Umziehen gebraucht hatte, ein komplettes Make-up aufzulegen. Wie hatte sie das nur angestellt?
Caroline schenkte Marina ein weiteres Lächeln. »Ganz sicher?«
Doch gleichzeitig bemerkte Marina etwas in dem Gesicht der Frau, das ihr zuvor nicht aufgefallen war: Müdigkeit und 5i feine Linien um die Augen. Ihr Lächeln wirkte spröde. Caroline war älter, als Marina zunächst angenommen hatte, älter als die anderen Kursteilnehmerinnen. Sie kleidete sich betont jugendlich, benahm sich auch so, aber ganz konnte sie ihr Alter dennoch nicht verbergen.
»Es wäre so schön, wenn Sie mit dabei wären.«
»Vielleicht das nächste Mal.«
»Also gut. Nächstes Mal.« Caroline wandte sich ab und gesellte sich wieder zu ihren fröhlich lachenden Freundinnen. Sie winkten Marina zu, als sie an ihr vorbeigingen, und Marina zwang sich zu einem Lächeln, das verschwand, sobald die anderen das Gebäude verlassen hatten.
Sie sah ihnen noch eine Weile nach. Sie gehörten zu der Sorte Frauen, die Marina sofort in eine ganz bestimmte Schublade gesteckt hätte: obere Mittelschicht, die Männer mit gutbezahlten Jobs - die Sorte Frau, die eine schmerzfreie Geburt erleben würde und der es, dank regelmäßiger Fitnessstudiobesuche und Modediäten, gelingen würde, nach der Entbindung innerhalb kürzester Zeit ihre alte Figur zurückzubekommen. Die Sorte Frau, die von anderen Frauen verachtet und gleichzeitig insgeheim beneidet wurde.
Aus der Entfernung wirkte Caroline, als wäre sie ein Teil der Gruppe, aber Marina spürte, dass sie anders war. Dass etwas sie von ihren Freundinnen trennte. Womöglich war es ihr deshalb so wichtig gewesen, dass Marina mitkam. Aber vielleicht hatte sie auch nur freundlich sein wollen.
Egal. Das war nicht ihr Problem. Marina wartete, bis sie verschwunden waren, erst dann durchquerte sie das Foyer von Leisure World in Richtung Ausgang.
Die Berieselungsmusik übertönte nur zum Teil das Geschrei und Geplansche der Schulkinder im Schwimmbad, die die knallbunten Rutschröhren, die aus einer Seite des Gebäudes ragten, in Beschlag genommen hatten und die letzten fünf Minuten nach dem Schwimmunterricht dazu nutzten, ausgelassen zu toben. Sie war froh, als die Türen hinter ihr zufielen und sie auf den Vorplatz hinaustrat. Der Lärm war schon schlimm genug, aber den beißenden Chlorgestank fand sie beinahe unerträglich. Sie wusste, dass so etwas in der Schwangerschaft nichts Ungewöhnliches war. Manche Frauen wurden auf einmal empfindlich gegen Gerüche, die sie zuvor nie gestört hatten. Eine Kollegin von der Universität hatte sogar den Geruch ihres eigenen Ehemannes nicht mehr ertragen können. Marina schüttelte sich. Hoffentlich blieb ihr Vergleichbares erspart.
Sie überquerte den Parkplatz und ging bis zur Straße, wo sie, zum Schutz gegen die Novemberkälte tief in ihren Mantel vergraben, auf das Taxi wartete, das sie bestellt hatte und das sie zurück in ihr neues Büro bringen sollte. Sie hatte geduscht, aber ihre Muskeln pochten und schmerzten noch immer. Morgen würde sie bestimmt Muskelkater haben.
Kurz darauf fuhr ein Geländewagen an ihr vorbei und hupte. Caroline und ihre Freundinnen. Wieder setzte Marina ein Lächeln auf, das nur so lange andauerte, bis das Fahrzeug um die Ecke verschwunden war.
So viel hatte sich in ihrem Leben verändert, und in so kurzer Zeit: Sie hatte ihren Lehrstuhl an der Universität
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