Entrissen
wissen ließ, dass sie die Einzige für ihn sei, seine wahre Liebe. Dass er jeden umbringen würde, der sich zwischen sie stellte. Dass er auch sie, Gemma, lieber töten würde, als zuzulassen, dass ein anderer sie bekam.
In ihrer Angst wandte Gemma sich an die Polizei. Phil übernahm den Fall. Er und sein Team nahmen Gemmas privates Umfeld genauestens unter die Lupe, stießen jedoch weder auf einen Verdächtigen noch auf Hinweise, die zum Täter hätten führen können. Sie ließen ihre Wohnung beschatten, sahen aber niemanden außer ihre Mitbewohner und ihren Freund ein und aus gehen. Wochenlang tappten sie im Dunkeln, und Gemmas Angst wurde immer größer. Dann schlug jemand vor, den Rat eines Psychologen einzuholen.
Also wurde Marina Esposito, Dozentin für Psychologie an der Essex University, als Beraterin hinzugezogen. Ihr Spezialgebiet waren psychosexuelle Verhaltensstörungen, also war der Fall für sie gewissermaßen wie maßgeschneidert. Gemeinsam mit Phil untersuchte sie erneut jeden einzelnen Aspekt von Gemmas Umfeld, und irgendwann fanden sie tatsächlich den Stalker: Martin Fletcher, den Freund ihrer Mitbewohnerin. Er wurde verhaftet und legte ein umfassendes Geständnis ab.
Damit hätte die Sache eigentlich erledigt sein sollen. War sie aber nicht. Zumindest nicht für Marina.
»Um ehrlich zu sein, bezweifle ich, dass sie zusagen wird, Sir.«
Fenwick klang ehrlich überrascht. »Ach was. Ich dachte, wenn man ein bisschen Überzeugungsarbeit leistet...«
Phil traute seinen Ohren nicht. »Überzeugungsarbeit? Das letzte Mal, als sie für uns gearbeitet hat, wäre sie fast ums Leben gekommen! Sie hat jeden Kontakt zu uns abgebrochen. Sind Sie sicher, dass Sie ausgerechnet sie im Team haben wollen?«
»Der Superintendent hat explizit ihren Namen erwähnt. Und wenn ein Fall zu ihr passt, dann genau dieser.« Fenwick wechselte den Ton, er wurde vom Vorgesetzten zum Freund und väterlichen Vertrauten. Wenn er das tat, erwachte in Phil sofort das Misstrauen. »Überlassen Sie das nur mir, Phil. Ich rede mit ihr. Wäre doch gelacht.«
Phil schloss die Augen. Und sah Marina vor sich. Er schüttelte den Kopf, um das Bild zu verscheuchen, aber sie war immer noch da. Er seufzte. Fenwick hatte recht. Was auch immer damals passiert sein mochte, sie war die Beste auf ihrem Gebiet. Und er brauchte die Besten, wenn er diesen Fall lösen wollte. »Na dann, viel Glück.«
»Herzlichen Dank.« Phil vermochte nicht zu sagen, ob das, was in Fenwicks Stimme mitschwang, Sarkasmus war oder nicht.
Am anderen Ende der Leitung herrschte kurzes Schweigen, dann: »Sind Sie eigentlich sicher, dass Sie sich der Sache gewachsen fühlen, Phil?«
Phil stutzte. »Warum denn nicht? Ich habe schon früher die Ermittlungen bei großen Fällen geleitet.«
»Das meinte ich nicht.« Auf einmal klang Fenwick ganz leise und besorgt.
Einige Sekunden lang war Phil sprachlos, während die Bedeutung von Fenwicks Worten zu ihm durchsickerte.
Er weiß Bescheid,
dachte er.
Verdammt, er weiß Bescheid!
Sofort begann sein Herz wieder schneller zu schlagen. Das ist nur der Fall, sagte er sich. Das Baby, die Zeit, die uns davonrennt. Nur damit hat es zu tun, nicht mit...
»Ja, Sir, ich bin der Sache gewachsen.«
»Gut. Dann spreche ich mit ihr. Bei diesem Fall werden wir nämlich alle Hilfe brauchen, die wir kriegen können. Das Budget wurde bereits aufgestockt, die Sache hat oberste Priorität, darum brauchen wir uns also keine Sorgen zu machen. Zusätzliche Männer sind auch genehmigt. Zusätzliche Männer und
Frauen,
besser gesagt. Schließlich wollen wir in unserer Abteilung nicht in überholte Sprachmuster verfallen, oder?« Er schnaubte.
Phil hörte nicht mehr hin. Er verspürte ein seltsames Flattern in der Magengegend.
»Gut. Dann machen Sie sich mal wieder an die Arbeit. Die Uhr tickt, wie man so schön sagt.«
»Jawohl, Sir.«
Phil beendete die Verbindung. Er stand da und starrte noch eine Weile, wie vom Blitz getroffen, sein Handy an. Aber jetzt war nicht die Zeit, sich über das, was Fenwick gesagt hatte, den Kopf zu zerbrechen. Er musste noch einen zweiten Anruf erledigen.
Aber irgendwie erschien ihm der plötzlich nicht mehr so wichtig.
In diesem Moment trat Clayton aus dem Gebäude. »Fertig, Boss?«
»Gleich«, sagte Phil. Er sah erst Clayton an, dann sein Mobiltelefon. Tu es jetzt. Bring es hinter dich.
»Ich muss nur noch kurz telefonieren. Dauert keine Minute.«
Er trat ein paar Schritte beiseite, damit er
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