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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Behr , Peter Hartl
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in der Geschäftsstelle der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft ( UOKG ) eine Beratung für Betroffene von Zwangsadoptionen im Großraum Berlin an. Das Adoptionsthema, das mein Leben, wie ich erst spät anerkannte, existenziell geprägt hat, ist inzwischen mein Lebensinhalt.
    Zwangsadoptierte, oft schon als Kleinkinder ihren Eltern entrissen, sind die jüngsten Opfer der DDR . Sie waren zu klein, um sich dagegen zu wehren, den Entscheidungen und Beschlüssen der Erwachsenen ausgeliefert. Und sie spüren die Folgen bis heute am eigenen Leib. Dennoch wurde dieser Personenkreis im Einigungsvertrag von 1990 vollkommen übergangen. Zwangsadoptierte haben kein Anrecht auf Entschädigung, sie sind bis heute nicht als Opfer der Diktatur anerkannt, Gleiches gilt für ehemalige Heimkinder wie meinen Bruder Mirko. Nicht alle Betroffenen der Zwangsherrschaft genießen den gleichen Stellenwert in der öffentlichen Wahrnehmung.

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    Thüringen, 8 . Mai 2011
    Meine Nervosität kann ich daran ablesen, wie zerknittert das Papier um die lilafarbenen Orchideen ist, die ich meiner Mama mitgebracht habe. Diese Blumen liebt sie, wie ich weiß. Jedes Mal, wenn ich auf dem Weg zu ihr bin, fühle ich mich von einer tiefsitzenden Unsicherheit ergriffen. Wie wird sie meinen Besuch aufnehmen? In welchem Zustand werde ich sie dieses Mal antreffen? Werde ich noch immer die Nestwärme bei ihr finden, die ich so lange entbehren musste?
    Zum Glück habe ich meine Halbschwester Melanie samt ihrer zehnjährigen Tochter an meiner Seite. Eigentlich hatte ich meine Reise hierher erst für Ende Juli geplant, wenn wir, ihre vier Kinder, unsere Mama gemeinsam zu ihrem 64 . Geburtstag besuchen. Aber mein Gespür sagt mir, dass ich nicht mehr allzu lange warten darf. Nach einem Schlaganfall ist Mama in einem Pflegeheim an ihrem südostthüringischen Wohnort auf fremde Hilfe angewiesen. Auf keinen Fall will ich die Möglichkeit verpasst haben, sie noch einmal zu sehen. Der diesjährige Muttertag bietet dafür nun den idealen Anlass.
    Die Altbauresidenz, vielleicht Mamas letzte Herberge, erinnert mit ihrem lichtdurchfluteten Foyer bezeichnenderweise an mein früheres Kinderheim, ist jedoch doppelt so geräumig und hat zugleich etwas Verwunschenes. Schon im Gang nimmt uns Mamas Ehemann in Empfang und führt uns durch eine glasbestückte Flügeltür auf die Veranda, die über verrostete Gitterstäbe hinweg den Blick auf die Hügel und Wälder ringsum freigibt. Die herrliche Aussicht, die milde Frühjahrsluft und das Gezwitscher der Vögel bilden den schroffen Kontrast zu dem Anblick, der mich auf der Terrasse empfängt.
    Mir ist seit unseren letzten Begegnungen bewusst, wie sehr die Folgen des Schlaganfalls neben ihrer langjährigen Herzerkrankung diese Frau niederdrücken. Und doch tut es mir in der Seele weh, wie ich sie da in ihrem Rollstuhl kauern sehe. Was für ein Häufchen Elend!, denke ich. Langsam wendet sie ihren Kopf zur Seite, erkennt mich jedoch erst auf den zweiten Blick, nachdem ihr Mann ihr bestätigend zugenickt hat. Offenbar hat sie mit dem Besuch der Töchter an diesem Tag nicht mehr gerechnet. Nun geht ein unmerkliches Lächeln über ihr bis dahin unbewegtes Gesicht.
    Ich drücke sie fest an mich und spüre, wie gut es tut, hier jetzt ganz nahe bei ihr zu sein. Mit etwas Anstrengung hebt sie ihren Arm und streicht mir mit der Hand sanft über die Wange, die Geste, die ich so sehr liebe. Und schon rinnen die unvermeidlichen Tränen, nicht nur bei mir. »Meine kleine Mama«, wispere ich schluchzend. Die tiefe Verbundenheit mit ihr, wie ich sie nur bei meiner leiblichen Mutter erfahren darf, spüre ich mit Leib und Seele – auch durch die erstarrende Hülle, mit der die Krankheit das Innenleben meiner Mutter umgibt. Ihre Worte, die sie mühsam formt, muss meine Nichte, die häufigeren Umgang mit der Oma hat, von ihren Lippen ablesen: Mehrmals gibt sie zu verstehen, wie sehr sie sich über unseren Besuch freut.
    »Erst war sie lange Jahre im Gefängnis eingesperrt«, denke ich, »und jetzt in ihrem Körper.« Was hat diese Frau nur verbrochen, dass sie so hart bestraft wird? Ich merke, wie die Wut in mir hochsteigt, unbändiger Zorn, dass Die uns Jahrzehnte gemeinsamer Zeit gestohlen haben.
    Wer aber sind Die?, grüble ich. Wer trägt die Verantwortung für ihr bitteres Los und auch für meinen Lebensweg? Meine Adoptiveltern tragen daran nicht die Schuld, das ist mir inzwischen klargeworden. Sie waren allenfalls in den

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