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Entrissen

Entrissen

Titel: Entrissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Behr , Peter Hartl
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musste man sich erst einmal durch diese massige Schleuse kämpfen. Das ließ mir den Aufenthalt noch unheimlicher erscheinen.
    Meine Pflegeeltern aber waren rührend um mich besorgt.
    »Du musst furchtbaren Hunger haben«, sagte die Frau zu mir und gab mir auf mein schüchternes Nicken hin gleich eine heiße Schokolade zu trinken.
    Dankbar sog ich das wohlige Wärmegefühl in mich ein.
    »Komm«, schlug ihr Mann mir vor, »ich zeig dir mal unsere Schule.«
    Da erst wurde mir klar, dass er wohl der zuständige Hausmeister der Polytechnischen Oberschule war. Was eine Schule ist, wusste ich bereits, weil mein Bruder ja seit kurzem Schüler war. Aber ein solches Gebäude von innen hatte ich noch nie gesehen. Mein Entdeckerdrang war geweckt, und ich ging neugierig mit.
    So gruselig hatte ich mir das Ganze allerdings nicht vorgestellt. Überall in den Gängen hingen ausgestopfte Tiere. Ich kannte sie bis dahin nur in lebendiger Form, aber die seltsamen Kreaturen an den Wänden waren mausetot, und trotzdem glotzten sie mich mit ihren Glasaugen an. Im Licht der Taschenlampe des Hausmeisters verzerrten sie sich zu hohngrinsenden Fratzen. Ich zitterte, vor Kälte und Angst. Unsere Schritte hallten hohl durch die leeren Gänge, das einzige Geräusch in der Stille. In jeder dusteren Ecke konnte Unheil lauern. Der Hausmeister ging vor mir her und sperrte mit seinem dicken Schlüsselbund jede Tür auf, um einen Blick in die Klassenräume zu werfen. Dabei redete er die meiste Zeit mit sich selbst. Von meinem eigenen Bangen gepeinigt, hörte sich dieser Singsang für mich an, als müsse er sich Mut zusprechen. »Ich muss in jedem Raum nachsehen, ob alles ordentlich ist und die Fenster zu sind«, lieferte er als Erklärung für unsere Expedition nach.
    Irgendwann merkte er, dass mir der Rundgang nicht ganz geheuer war, und nahm mich an die Hand. Obwohl dieser Mann mir fremd war, fühlte ich mich in seinem Griff notdürftig beschützt und ermutigt. Nickend gab ich ihm zu verstehen, dass ich ihm zuhörte. Was sollte ich sonst auch sagen? Ich kannte den Mann ja nicht.
    »Gehen wir jetzt wieder zurück?«, wisperte ich schließlich zaghaft und war heilfroh, dass die schauerliche Führung endlich vorüber war.
    Zurück in der heimischen Höhle, bemerkte ich erst meine Erschöpfung, die die vielfältigen Eindrücke hinterlassen hatten. Es war inzwischen früher Abend, und ich wollte mich nur noch hinlegen und schlafen, alles vergessen, mich in meine frühere Geborgenheit zurückträumen. Nicht einmal das feindselige Knurren der Hunde und ihr Gestank hielten mich mehr vom Einschlafen ab. In meiner Müdigkeit bemerkte ich gar nicht, dass sie sich irgendwann zu mir gesellten. Vertrauter wurden sie mir dadurch allerdings nicht. Dieses Verlies soll mir künftig mein heimisches Nest ersetzen?, war mein letzter Gedanke, bevor mir die Augen zufielen.
    Als ich am nächsten Morgen erwachte, eingebettet zwischen zwei schwer atmenden Hundeleibern, war es immer noch dunkel. In diesem Kellerloch schien es nie richtig hell zu werden. Dennoch durfte ich nicht ins Freie, wie mir meine Pflegeeltern eingeschärft hatten. Andere Kinder waren weit und breit nicht zu sehen, nicht einmal Schüler, denn es war Winterferienzeit und zudem Wochenende. Zum Gefühl der Verlorenheit gesellte sich bald die Langeweile. Geduldig wartete ich ab, bis sich im Schlafzimmer nebenan allmählich Leben regte. Die Hausmeisterfrau murmelte einen verschlafenen Morgengruß, während sie sich mit routinierten Handbewegungen am Küchenherd zu schaffen machte. Bei all ihrer Warmherzigkeit konnte sie mir die Spielgefährten nicht ersetzen, das war nicht zu übersehen. Inzwischen tauchte auch der frisch angezogene Hausmeister auf und begann, mit den Holzresten aus einem Weidenkorb ein Herdfeuer zu entfachen. Beißender Qualm überlagerte kurzzeitig den Hundegestank, aber bald knisterte das Feuer und machte das Raumklima behaglich.
    Ich hatte gehofft, dass der neue Tag mein dusteres Domizil in einem anderen Licht erscheinen lassen würde. Aber mir war nur noch schwerer ums Herz. Wie nie zuvor vermisste ich Mama, Mirko und Oma. Meine fürsorgliche Pflegemutter legte mir zwei dicke Brotscheiben auf den Teller, die sie mit einem langen Messer abgesäbelt hatte, und stellte einen Pott Schokolade vor mir auf den Tisch. Meine Traurigkeit war ihr natürlich nicht entgangen.
    »Du willst bestimmt wieder zurück, oder?«, fragte sie in die Stille hinein.
    Die Antwort war klar. Ich nickte und fügte

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