Entscheide dich, sagt die Liebe
Freundschaft ist etwas Besonderes. Außerdem glaube ich, dass er es trotz seines Reichtums und seiner Herkunft nicht leicht hat.«
Seine Mutter meinte die Tatsache, dass die Contessa – als Paolo klein war – nie Zeit für ihn gehabt hatte. Nach dem frühen Tod seines Vaters wurde der einzige Minotti-Spross von rasch wechselnden Gouvernanten erzogen. Früh suchte er die Liebe der Frauen, doch die meisten liebten in erster Linie sein Geld und seinen Status.
»Du hast recht, Mama. Momentan hat er es besonders schwer, weil er über beide Ohren verliebt ist.«
»Schon wieder?« Sie lachte und rührte in der zukünftigen Erdbeermarmelade.
»Diesmal ist es anscheinend ernst. Zumindest hat er mich schon zum Verlobungsfest eingeladen.« Daniele zog eine Grimasse.
»Du wirkst nicht sehr glücklich darüber.«
»Ich hasse die Festivitäten im Hause Minotti. Diesmal werde ich nicht hingehen.«
»Aber Paolo ist dein bester Freund!«
Er wand sich. »Du weißt ja nicht, wie das ist. Diese Palastatmosphäre, die Etikette, die blasierte Contessa, das ist alles so … schrecklich.«
»Dann beißt du eben die Zähne zusammen und siehst es als Freundschaftsdienst an.«
Daniele dachte an das letzte Fest, an den Tanz, an Claras leuchtendes Gesicht, an ihre bebenden Nasenflügel, die dunkelgrünen Augen … Ein Bild, das sich auf ewig in seine Seele gebrannt hatte. Er dachte an die quälenden Träume, die ihn seither heimsuchten, nicht nur nachts. Nein, er konnte nicht mit ansehen, wie Paolo sie im Arm hielt.
»Wer ist eigentlich die Glückliche?«
»Eine Pianistin aus Salzburg«, sagte er einsilbig. Hoffentlich ließ Mutter das Thema bald fallen.
»Ist sie ein nettes Mädchen? Passt sie zu Paolo?«
»Woher soll ich das wissen«, zischte Daniele. Im selben Augenblick glitt ihm der Teller aus der schaumigen Hand, flutschte über den Rand des Spülbeckens und fiel zu Boden. »Verdammter Mist!« Er bückte sich und sammelte die größten Scherben ein.
Seine Mutter bückte sich auch. Sie nahm ihm die Bruchstücke aus der Hand und fixierte ihn. Er fühlte regelrecht, wie ihr forschender Blick bis in seine verschlungensten Gehirnwindungen kroch. Und obwohl er sich sofort abwandte, wütend über ihr Eindringen, war es schon zu spät.
»Madonna«, flüsterte sie und ließ die Scherben fallen. Dann nahm sie seinen Kopf in beide Hände und drückte ihn an sich. Sie wusste Bescheid.
Mit seinen zweiundzwanzig Jahren hockte er da wie ein kleiner Junge, sein heißes Gesicht an ihre kühle Wange gelehnt, und ließ sich fallen. Der Schmerz, der sich wie ein Stein in seinem Magen niedergelassen hatte, wurde weich und warm, stieg auf und floss aus Augen und Nase, während seine Mutter ihm übers Haar strich.
»Mein armer Junge«, murmelte sie. »Zuerst die Pleite mit Sofia und jetzt das. Das Leben ist ungerecht.«
Er wischte die Tränen weg. Interessant. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er schon seit Wochen nicht mehr an Sofia gedacht hatte. Er hatte es endlich geschafft, sich seine Jugendliebe aus dem Kopf zu schlagen, weil er nur noch an die Frau dachte, die drauf und dran war, seinen besten Freund zu heiraten. Claras Anblick und das Wissen um ihre Unerreichbarkeit würde er fast täglich ertragen müssen, wenn er mit Paolo befreundet bleiben wollte. Er lachte bitter auf.
Da hast du den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, würde Paolo sagen, wenn er von Danieles Unglück Wind bekäme. Aber das durfte auf keinen Fall passieren. Nein. Nie und nimmer durfte Paolo erfahren, wie es in seinem Herzen aussah.
W ährend der Fahrt nach Würzburg ging Clara im Kopf durch, was sie alles wusste. Sie hatte nicht nur die Briefe gelesen, sondern auch gegoogelt. Herausgefunden hatte sie aber nicht viel. Ihre Mutter hieß Lidija Kovac und stammte aus Bosnien. In ihrer Heimat hatte Lidija als Wunderkind auf dem Cello gegolten, so stand es in einer Konzertkritik. Sie war kurz mit Leo Prachensky verheiratet gewesen. Nach der Scheidung musste sie wieder ihren Mädchennamen angenommen haben, denn nun lebte sie als Lidija Kovac in Würzburg und war erste Cellistin im Philharmonischen Orchester. Das einzige Foto, das Clara im Internet gefunden hatte, war winzig und so unscharf, dass man gar nichts erkennen konnte. Nur einen hellen Fleck hinter einem aufgedunsenen Cello und einen verschwommenen Arm, der mit einem Bogen herumfuhrwerkte.
Lidija, dachte sie und versuchte, sich den Klang von Paps’ Stimme vorzustellen, wie er diesen Namen rief.
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