Entscheide dich, sagt die Liebe
in der Werkstatt. Er hielt einen Pinsel in der Hand und tupfte Farbe auf das Bild der Madonna, das Clara schon bei ihrem letzten Besuch gesehen hatte.
»Alles in Ordnung, Vater?«, fragte er, ohne sich umzudrehen. »Was sagt der Arzt?«
Sie räusperte sich. » Ciao, Daniele. Entschuldige, wenn ich dich störe. Aber es gibt drei Gründe, warum ich gekommen bin.«
Er fuhr herum. Sein Unterkiefer klappte nach unten. Gleichzeitig schwand die Farbe aus seinem Gesicht. Blass und schwer atmend stand er ihr gegenüber und starrte sie an.
Sie näherte sich vorsichtig. Die Madonna auf dem Bild sah wunderschön aus und strahlte wieder in satten Farben. Die dunkle, schmierige Schicht, die das Bild zur Hälfte bedeckt hatte, war verschwunden.
»Gleich drei«, stieß Daniele schließlich hervor. Er legte den Pinsel weg, wusch sich die Hände in dem kleinen Becken an der Wand und zog seinen Kittel aus. »Willst du sie mir hier erzählen oder draußen?«
Clara folgte ihm ins Freie. Hinter dem Haus stand eine verwitterte Holzbank an der Mauer, an der wilder Wein bis zum Dachstuhl rankte. Die breite Krone eines Nussbaums spendete Schatten. Es roch nach Oregano, und es war vollkommen still – bis auf das Summen und Zirpen aus dem Garten. Clara setzte sich auf die Bank. Daniele nahm auf einem wackligen Gartenstuhl ihr gegenüber Platz und hob fragend die Brauen.
»Kommen wir zu deinem ersten Grund«, sagte er in seinem perfekten Deutsch und lächelte sie an.
Sie wusste nicht, warum sie plötzlich aufgeregt war wie vor ihrem ersten Schultag. »Erstens wollte ich mich entschuldigen, dass ich unlängst einfach weggelaufen bin und dass Paolo mit dir gestritten hat, nur weil ich dachte, du wolltest meinen Vater beleidigen.« Sie suchte seinen Blick, aber Daniele sah einer Eidechse beim Sonnen zu.
»Das musst du nicht. Ich hätte mich bei dir entschuldigen sollen. Bei Paolo habe ich es längst getan. Es war mein Fehler, mich in Sachen einzumischen, die mich nichts angehen.«
Clara schüttelte bedächtig den Kopf. »Ich habe lange über deine Worte nachgedacht.«
Endlich blickte Daniele auf. Wärme lag in den Kaffeeaugen. Und ein Leuchten. Sie spürte, dass sie ihm vertrauen konnte. Und noch etwas spürte sie: eine Hitze, die sich wellenförmig über ihren ganzen Körper ausbreitete. Das lag natürlich an der Hausmauer in ihrem Rücken, die die tagsüber gespeicherte Sonnenwärme abstrahlte.
Sie seufzte. »Ich habe immer mehr das Gefühl, dass ich meinen Vater gar nicht richtig gekannt habe. Und jetzt möchte ich die Wahrheit herausfinden. Ich möchte die Löcher in seiner Biografie stopfen. Und weil ich nicht recht vorankomme, habe ich mir gedacht, dass mich vielleicht die Geschichte des Bildes weiterbringen könnte.«
Ein feines Lächeln spielte um Danieles Mundwinkel. Fasziniert starrte sie auf seine geschwungene Oberlippe, von der ein winziges Stück Haut abstand. Sie ertappte sich bei dem Wunsch, es wegzuzupfen, mit dem Finger die Form der Lippen nachzufahren und …
Was für ein Unsinn! Sie räusperte sich. Holte Luft. Fasste Mut. »Da wären wir dann beim zweiten Grund meines Kommens. Ich wollte dich fragen, ob du mir bei der Recherche helfen könntest.«
Daniele antwortete nicht gleich. Es sah aus, als wäre er mitten in einem Gedanken hängen geblieben. Nach seinem Augenausdruck zu schließen, musste es ein angenehmer Gedanke sein.
Clara erschrak, als ihr auffiel, dass sie ihn schon die längste Zeit anstarrte und dass er das bemerkt haben musste. Rasch blickte sie zu Boden.
Endlich öffnete er den Mund. »Gern.«
»Heißt das Ja?«
Er nickte. Geschwätzigkeit konnte man ihm wirklich nicht nachsagen, ganz im Gegensatz zu Paolo.
»Und der dritte?«
»Wie bitte?«
Er lächelte breit. »Der dritte Grund, warum du hier bist.«
»Oh.« Die Einladung zum Verlobungsfest verknüpft mit der Bitte, seine Marionetten tanzen zu lassen. Clara fühlte ganz deutlich, dass er ihr eine Absage erteilen würde, sie wusste nicht, warum. »Darf ich mir den dritten Grund für später aufheben? Im Moment traue ich mich noch nicht.«
Er lachte. Ein leises, raues Lachen, das irgendetwas mit ihrem Nabel anstellte. »Einverstanden.«
Sie hätte gern ihre Hände gegen den Bauch gedrückt, damit das Pochen aufhörte. Stattdessen sprang sie auf. »Also gut. Dann will ich dich nicht länger von der Arbeit abhalten. Vielleicht treffen wir uns lieber ein anderes Mal, wenn du Zeit hast.«
»Ich bin fertig für heute«, sagte er. »Wenn du
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