Entscheide dich, sagt die Liebe
tapfer sein wollte, obwohl sein Herz schon einige Etagen tiefer gerutscht war.
Ist nicht dein Bier, flüsterte die Stimme in Danieles Kopf. Verabschiede dich. Geh endlich. »Wenn du willst, komme ich mit und helfe dir dabei«, hörte er sich stattdessen sagen.
Ein halbes Lächeln verirrte sich in ihr Gesicht. »Nett von dir. Aber du musst nicht aus Mitleid mitkommen.«
»Mitleid?« Er hob die Brauen. »Kenne ich nicht!«
Jetzt lächelte sie ganz. Immerhin, ein kleiner Erfolg.
Sie setzten sich in die Küche, denn Giovannas Reich war weit gemütlicher als die herrschaftlichen Gemächer, sofern man angesichts einer pingelig sauberen Edelstahlküche überhaupt von Gemütlichkeit sprechen konnte. Clara fand eine Flasche Rotwein, Daniele entkorkte sie. Sie prosteten einander zu.
Er rang das Bedürfnis nieder, ihre schmalen Schultern zu umfassen und ihr Haar zu berühren, das im Küchenlicht rotgolden schimmerte. Seine Kehle fühlte sich wund an vom ständigen Schlucken, aber der Kloß, der sie blockierte, verschwand nicht. Che cazzo, ich hätte mich nicht darauf einlassen dürfen, dachte er.
Clara holte ihren Laptop, stellte ihn auf den Küchentisch und schaltete ihn ein. »Wie sollen wir vorgehen?«
Daniele nahm noch einen Schluck Wein. »Was weißt du von Rosenblatt?«
»Nur, dass er der Geigenlehrer meines Vaters war.« Sie zog ihre Stirn in Falten. »Daraus schließe ich, dass Rosenblatt auch in Wien gelebt haben muss. Mein Vater wurde 1929 geboren. Vermutlich hat er mit fünf oder sechs Jahren mit dem Violinspiel begonnen. Das wäre also 1934 oder 1935 gewesen.«
»1938 hat Österreich dem Anschluss an Hitler-Deutschland zugestimmt, ein Jahr später kam es zum Krieg«, sagte Daniele leise. »Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Rosenblatt den nicht überlebt hat. Außer er konnte rechtzeitig fliehen.«
»Warum?«
»Ist dir das wirklich nicht klar? Dem Namen nach war Rosenblatt Jude. Wenn er in Wien geblieben ist, wird er in ein Konzentrationslager gekommen sein.«
Clara sah ihn entsetzt an. »Ein jüdischer Name, natürlich«, flüsterte sie.
Daniele stellte das Weinglas beiseite und gab die Begriffe »Opfer des Holocaust« und »Österreich« in die Suchmaschine ein. Er überflog die Einträge. »Schau dir das an! Hier wird auf ein Projekt verwiesen, das alle österreichischen Holocaustopfer namentlich erfasst hat.«
»Gibt es eine Kontaktadresse?«
Daniele nickte. Er klickte darauf, ein Mailclient öffnete sich. Er formulierte seine Frage nach Schlomo Rosenblatt aus Wien und drückte auf »senden«.
»Meinst du, sie antworten heute noch?«
»Wohl kaum so spät am Abend. Wir müssen Geduld haben.«
»Und was ist, wenn Rosenblatt zu den wenigen zählte, die ein KZ überlebt haben? Oder wenn er sich doch rechtzeitig ins Ausland abgesetzt hat?«, fragte Clara.
»Hm.« Daniele überlegte. »Wenn er ausgewandert ist, wird es schwierig, ihn aufzuspüren, so ganz ohne Anhaltspunkte. Aber wenn er ein KZ überlebt hat …« Er googelte den Begriff »Überlebende« kombiniert mit »Konzentrationslager« und entdeckte die Website des U.S. Holocaust Memorial Museum. »Volltreffer. Hier können sich Angehörige nach Familienmitgliedern erkundigen.«
Clara rückte näher an ihn heran und sah ihm über die Schulter.
Ihr linker Arm berührte seinen rechten, der zu prickeln begann, als stünde er unter Strom. Er versuchte, mehr Abstand zwischen ihre Körper zu bringen, und hoffte, dass sie sein Gefühlschaos nicht bemerkte. Dann tippte er die Anfrage in das Kontaktformular ein und sandte es ab. »In Amerika ist es erst Mittag. Vielleicht bekommen wir bald eine Antwort.«
Sie tranken den Wein aus, und Daniele füllte die Gläser aufs Neue. Was würde Paolo denken, wenn er ihn hier so sehen könnte? Was musste er selbst von sich denken? War er wirklich nur der gute, hilfsbereite Freund oder erhoffte er sich etwas? Er kniff sich in den Oberschenkel. Nein, das tat er nicht. Paolos Zukünftige war tabu. Niemals würde er die Situation ausnutzen.
Claras Augen wanderten immer wieder zum Bildschirm.
Daniele überlegte, wie er sie ablenken könnte. Er verwickelte sie in ein harmloses Gespräch, das aber bald versandete, weil sie unkonzentriert war und ihm nicht zuhörte. Schließlich fiel ihm nichts mehr ein. Sie schwiegen zusammen und tranken Wein.
Nach dem dritten Glas wurde ihm schwindlig, und er wusste nicht, ob es am Alkohol lag oder an ihren meergrünen Augen. Seine Beine waren schwer, und die Knochen
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