Entscheidung auf Mallorca
stelle, gehe ich vor die Hunde. Und geholfen ist niemandem. Höchstens einigen Reportern.
Peggy blickte flehend zu ihm hoch.
Er sah ihre angstgeweiteten Augen. »Vielleicht hast du recht«, sagte er.
Sie umklammerte ihn. »Du wirst nicht zur Polizei gehen?«
»Ich glaube, mir fehlt der Mut, mich selbst zum Schafott zu führen.«
8
In der nächsten Stunde war Peggy nicht wiederzuerkennen. Sie riß Schränke und Schubfächer auf und packte die Koffer in einer Eile, als hätte sie das Hotel in wenigen Minuten zu verlassen. Dabei wußte sie, daß sie erst am darauffolgenden Abend nach Barcelona fahren konnten. Sie hatte aber keine Ruhe mehr.
Wulf merkte nichts von alledem. Nachdem er sich entschlossen hatte, nicht zur Polizei zu gehen, war er in einen abgrundtiefen Schlaf gefallen. Die Natur verlangte ihr Recht; allerdings nur für kurze Zeit. Dann peinigten ihn Fieberträume, ließ ihn der Schrei eines Kindes immer wieder hochfahren.
»Ich kann nicht mehr«, sagte er, als der Morgen graute.
»Ich auch nicht«, erwiderte Peggy. »Keine Minute habe ich geschlafen. Laß uns fahren.«
»Das Schiff geht doch erst heute abend.«
»Ich weiß, möchte aber fort von hier.«
Das Hotelpersonal begann gerade mit der Säuberung der Aufenthaltsräume, als Peggy und Wulf die Treppe zur Empfangshalle hinabstiegen und den Nachtportier um die Rechnung sowie um ein Taxi baten.
Der Spanier schüttelte den Kopf, erfüllte aber ihre Wünsche.
Die Fahrt war nur von kurzer Dauer. Sie waren übereingekommen, den Tag in Puerto de Pollensa zu verbringen. Beiden saß die Angst wie ein Gespenst im Nacken. Lieber wollten sie stundenlang in irgendeiner Bar hocken, als sich noch eine Minute im Hotel aufzuhalten.
In der kleinen Hafenstadt fanden sie jedoch ebenfalls keine Ruhe. Der Anblick der Boote rief in Wulf die schrecklichsten Vorstellungen wach, und auf dem freien Platz vor dem Hafen mochten sie nicht sitzen, weil dort Beamte der Guardia Civil patrouillierten.
Aber nicht nur das schlechte Gewissen verfolgte sie. Als sie am Spätnachmittag ein Lokal verließen, um ein anderes aufzusuchen, erstarrte Wulf, als er am Kai des Hafens einen Leichenwagen und Hunderte von Menschen stehen sah.
Peggy entfuhr ein kleiner Schrei. Ein beklemmenderes Bild glaubte sie noch nicht gesehen zu haben. Im grellen Licht der Sonne und vor blendendweißen Fischerbooten, die träge auf dem Wasser schaukelten, stand ein mit schwarzen Federbüschen geschmückter Totenwagen, dessen Silhouette sich gespenstig gegen den leuchtendblauen Himmel abhob. Und die ihn umstehenden Menschen blickten schweigend auf das Meer hinaus.
Sie ergriff Wulfs Hand und wollte ihn fortziehen.
Er machte sich frei und ging auf den Kai zu.
Sie versuchte ihn zurückzuhalten.
Vergeblich. Ohne den Blick zu wenden, überquerte Wulf die Straße. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Er ging weiter, Schritt für Schritt.
Menschen liefen an ihnen vorbei.
»Das wird der kleine Junge sein«, hörten sie eine Deutsche sagen.
Sofort war Wulf bei ihr. »Welcher Junge?«
Die Angesprochene sah ihn verwundert an. »Haben Sie noch nicht von ihm gehört? Er wurde vor ein paar Stunden in der Nähe von Kap Formentor angeschwemmt. Wahrscheinlich ist es der kleine Franzose von dem Motorboot, nach dem die Flugzeuge seit heute morgen suchen. Wir wohnen in Cala San Vicente – ich kann Ihnen sagen, wir sind heute morgen aus den Betten geflogen! Eine Maschine nach der anderen donnerte über uns hinweg. War das hier auch so schlimm?«
Wulf machte einen ratlosen Eindruck.
»Ist ja auch nicht so wichtig«, fuhr die Deutsche fort. »Aber wenn das der kleine Franzose ist, dann brauchen sie nach dem Boot nicht mehr zu suchen. Mein Mann war im Krieg bei der Marine, der kennt sich aus. Er hat gesagt: ›Wenn das der kleine Franzose ist, dann finden sie keinen mehr.‹ Bin gespannt, wie der arme Junge aussieht. Mein Mann sagt, Wasserleichen wären ein furchtbarer Anblick. Ich hab’ noch nie eine gesehen. Sie?«
Wulf war nahe daran aufzuschreien.
»Muß ja furchtbar für die Eltern sein«, redete die Deutsche weiter. »Wenn man bedenkt, daß die zum Urlaub hierhergefahren sind! Unser Wirt hat erzählt – mein Mann spricht etwas Spanisch –, daß die Eltern dem Jungen gestern gestattet haben, mit einem dänischen Ehepaar, das ein eigenes Motorboot hat, eine Fahrt um Mallorca zu machen. Als das Boot gestern abend nicht zurückkehrte, wurden die Eltern natürlich ängstlich. Sie
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