Entscheidung auf Mallorca
Moralischen.«
Erstaunlich, dachte Wulf. Das hätte ich nicht erwartet. Doch ob mit oder ohne Moralischen – eingesperrt wird er auf jeden Fall. Leider auch ich. Denn ich gehe zur Polizei. Das Opium muß sichergestellt werden.
Im Verlauf der nächsten Stunde, in der sie nur noch wenig miteinander sprachen, war Wulf oftmals der Verzweiflung nahe. Er konnte sich nicht vorstellen, daß sein Leben jemals wieder in geordneten Bahnen verlaufen würde.
Schemenhaft tauchte Miriam vor ihm auf. Sie sah blaß aus, ratlos, verweint.
Dann glaubte er, Harald schaue ihn an. Kalt, abweisend, verächtlich.
Es folgte das Bild der Mutter. Ihre Augen flackerten in nervöser Unruhe.
Wie immer, dachte Wulf. Auch in dieser Stunde hat sie keine Zeit für mich. Wahrscheinlich, weil sie sich umkleiden und zurechtmachen muß, da Freunde auf sie warten.
Er vergegenwärtigte sich das Gesicht des Vaters. Massig und stiernackig saß er hinter seinem Schreibtisch.
Würde er mir helfen? Kaum. Wenn er erführe, in welche Lage ich geraten bin, würde er verärgert sein. Über die Störung. Und dann würde er weiterarbeiten. Teilnehmen am Wirtschaftswunder.
Gesicht um Gesicht tauchte vor Wulf auf, nur nicht das von Peggy. Er wurde sich dessen aber nicht bewußt. Es fiel ihm erst auf, als ihm der Sonnenbebrillte nach dem Anlegen in der Bucht von Alcudia ein Bündel Banknoten in die Hand drücken wollte.
»Nein, danke«, sagte er und dachte: Merkwürdig, daß ich auf der ganzen Fahrt nicht eine Sekunde an Peggy gedacht habe. Wenn sie erfährt, daß ich die restlichen Pesetas nicht genommen habe, wird sie mich für verrückt erklären.
»Was soll der Unsinn?« rief der Hagere hinter ihm her. »Sie müssen doch die Hotelrechnung begleichen.«
Wulf blickte zurück. »Die wird beglichen.«
»Aber womit denn?«
»Ich nannte Ihnen das Doppelte der Summe, die ich benötigte, komme mit der Anzahlung also aus.«
Wie ein Betrunkener lief er durch die Nacht. Sein Gleichgewichtsgefühl war gestört. Ihm war es, als hebe und senke sich die Erde. Dauernd glaubte er ins Leere zu treten. Er wurde immer unsicherer. Mit jedem Schritt aber, den er ging, bröckelte etwas von dem Entschluß ab, den er im Boot gefaßt hatte. Er wußte, daß er zur Polizei gehen mußte. Vorher wollte er jedoch Peggy aufsuchen. Er konnte sie nicht einfach sitzenlassen. Sie mußte schnellstens ihre Sachen packen und die Insel verlassen.
Die Füße schmerzten ihm, als er Alcudia erreichte. Hier hatte er Glück: In der Nähe des Hotels »Marina« stand ein Taxi.
Während der Fahrt nach Formentor versuchte er, sich zu beruhigen; es gelang ihm nur schlecht. Immer häufiger vermeinte er, den Schrei eines Kindes zu hören, und je öfter er ihn vernahm, um so sicherer wurde er, ihn im Augenblick des Zusammenpralls tatsächlich gehört zu haben. Für ihn gab es keinen Zweifel mehr: der Schrei war da. Er hatte ihn gehört und hörte ihn auch im Heulen des Sturmes, der über die Paßhöhe von Formentor fegte. Voller Entsetzen ließ er den Fahrer anhalten und trat an den sechs- bis siebenhundert Meter hohen Steilhang heran, um auf das Meer hinabzublicken.
Irgendwo da unten muß es gewesen sein, dachte er. Und dann betete er – er wußte nicht, wann er es das letzte Mal getan hatte: »Herrgott, ich flehe dich an, laß nicht wahr werden, was ich befürchte. Jede Buße will ich auf mich nehmen, aber laß nicht wahr werden …«
Als er das Hotel erreichte, lief ihm Peggy, die schon auf ihn gewartet hatte, auf der Terrasse entgegen. »Wulf!« rief sie, fuhr jedoch entsetzt zurück, als der Schein einer Laterne auf sein Gesicht fiel. »Um Himmels willen, wie siehst du aus? Was ist geschehen?«
Er konnte nicht antworten. Seine Augen lagen in tiefen Höhlen. Die Haare waren zerzaust. Sein Hemd stand offen. Die Krawatte saß schief.
»Gib mir deinen Kamm«, sagte sie. »So kannst du unmöglich durch die Hotelhalle gehen.«
Wulf griff in die Seitentasche seines Jacketts.
Sie fuhr ihm durch das Haar. »Ist etwas passiert?«
»Ja.«
Peggy glaubte nie ein bedeutungsvolleres »Ja« gehört zu haben. Sie umarmte Wulf. »Was immer es sein mag, ich halte zu dir. Ich liebe dich – wirklich, ich liebe dich.«
Es tat ihm gut, Peggy so reden zu hören. Dennoch kam ihm jedes ihrer Worte unsinnig vor.
Sie hakte sich bei ihm ein. »Versuch einen unbefangenen Eindruck zu machen. In der Halle sitzen nur noch wenige Gäste. Ich lass’ uns irgendeine Kleinigkeit auf das Zimmer bringen.«
Er sagte ihr,
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