Entscheidung auf Mallorca
nicht nach einem Glas Bier lechzte, sondern den Wunsch hatte, Miriam zu sehen. Aber das gestand er sich nicht ein, weil er befürchtete, nicht den Mut zu haben, sie aufzusuchen.
Tatsächlich ging er am Abend einige Male an ihrer Wohnung vorbei. Und immer hoffte er, sie zufällig zu treffen. Bis er sich sagte, daß es sinnlos sei, stundenlang durch den Regen zu laufen.
Es war schon dunkel, als er das Haus betrat, in dem Miriam wohnte. Muffige Luft schlug ihm entgegen. Er drückte auf den Lichtschalter. Irgendwo machte es »Klack«, und eine spärliche Erleuchtung flammte auf.
Langsam stieg er die Treppe empor. Hier und da knarrte eine Stufe. In der zweiten Etage blieb er einen Augenblick stehen, bevor er an eine doppelflügelige Tür herantrat, an der außer dem Namenschild des Wohnungsinhabers die Visitenkarte Miriams mit dem Vermerk »2 x läuten« befestigt war.
Er tat es und fühlte sein Herz klopfen. Denken konnte er nichts. Aber er hörte ihre festen Schritte.
Die Tür wurde geöffnet. Miriam stand vor ihm. Ihre Augen weiteten sich, als sehe sie ein Gespenst.
Wulf sah sie verlegen an. Die Haare hingen ihm in die Stirn. Seine Augen waren dunkel umrändert.
Sie bemühte sich, ihr Entsetzen über sein Aussehen zu verbergen. »Du?« fragte sie und trat einen Schritt zurück. »Komm herein. Du bist ja ganz naß.«
Gut, daß ich ihre Stimme wieder höre, dachte er.
Als er in ihr Zimmer trat, wäre er am liebsten stehengeblieben. Wie früher, wenn er in übertriebener Form zum Ausdruck bringen wollte, wie sehr ihn die moderne und doch warme Einrichtung ihres Raumes faszinierte.
Den Boden bedeckte ein schwarzer Teppich. Vor einer breiten, mit naturfarbenem Stoff überzogenen Couch standen ein nierenförmiger Tisch und zwei schaumgepolsterte Sessel, die im gedämpften Licht einer schmalen Pergamentlampe wie farbige Kleckse wirkten. An einer Wand hing ein abstraktes Aquarell, bei dessen Betrachtung er oftmals geglaubt hatte, die Erschaffung der Welt aus dem Nichts zu erleben.
Ohne es zu wollen, betrachtete er ihr Zimmer, bis er bemerkte, daß sie neben ihm stand und ihn ratlos ansah.
»Was schaust du?« fragte er.
Sie wußte nicht, was sie antworten sollte. »Setz dich«, sagte sie und dachte: Es muß etwas geschehen sein. Womöglich hat er sich mit seinem Vater überworfen.
Wulf nahm Platz und blickte zu Boden.
Ich muß das Heft in die Hand nehmen, sagte sie sich und fragte: »Ist es dir so schwergefallen, zu mir zu kommen?«
»Wie meinst du das?«
»Aber, Wulf. Vier Wochen sind es her, seit wir … Wenn du nicht kommen konntest, hättest du mir doch zumindest einen Brief schicken können. Warst du bei deinen Eltern?«
Er blickte verwundert auf. »Wie kommst du darauf?«
»Ich hab’ es gedacht … Bist du womöglich schon länger wieder hier?«
»Nein. Wir sind erst heute nachmittag …« Er fuhr sich durch die Haare. »Mit dem Zug sind wir zurückgekehrt.«
Miriam glaubte nicht richtig zu hören. »Ihr wart bis jetzt auf Mallorca?«
Wulf nickte.
Miriam war außer sich. »Du hast also weiterhin …?«
»Nein!« rief er, da er wußte, was sie sagen wollte. »Peggy hat Glück gehabt. Am dritten Tag nach eurer Abreise gewann sie fast viertausend Mark. Ich hatte schon vorgehabt, ein Telegramm an die Werkstatt in Gerona aufzugeben, um euch zu bitten, auf uns zu warten, aber dann …« Er zuckte die Achseln.
Miriam erhob sich. »Wulf, du belügst mich«, sagte sie mit trauriger Stimme.
»Das tu’ ich nicht!« brauste er auf. »Was ich dir sagte, ist so wahr, wie ich hier sitze.«
»Dann hast du keinen Grund zu schreien«, erwiderte sie. »Und ich bitte um Entschuldigung.«
»Ich ebenfalls.«
»Und wie kam es zu dem hohen Gewinn?«
Wulf erzählte es ihr.
»Da kann ich Peggy nur gratulieren«, sagte Miriam, als er schwieg. »Und ihr seid dann weiterhin in Puerto de Pollensa geblieben?«
»Ja. Das heißt, wir sind nach Formentor gezogen.«
»In das berühmte Luxushotel?«
»Woher kennst du das?«
»Ich hab’ auf Mallorca in einem Prospekt des Hotels geblättert. Habt ihr etwa in ihm gewohnt?«
Wulf wurde unruhig. »Du kennst Peggy. Als sie das Geld hatte, wollte sie die große Dame spielen. Sie hat sich sogar als Studentin ausgegeben.«
»Und du?«
Seine Augen flackerten. »Was soll die Frage?«
»Wulf, ich hatte erwartet, dich anders wiederzusehen. Wie kannst du abfällig über Peggy sprechen, nachdem du dich einige Wochen lang von ihr in einem Luxushotel hast freihalten
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