Entscheidung auf Tortola
“Wenigstens hält das Wetter. Es regnet noch nicht, obwohl vor dem Abend ein Sturm aufkommen soll.”
Es herrschte eine Weile Schweigen, bevor Lacey die Unterhaltung fortsetzte.
“Mir gefällt es hier. Ich war noch nie in einem Straßencafé.”
“Gibt es denn keine in Kalifornien?”
“Wahrscheinlich schon, aber nicht dort, wo ich arbeite. Los Angeles ist sozusagen eine fußgängerfeindliche Stadt. Wir fahren überall mit dem Auto hin und suchen Drive-in-Schalter auf, aber keine Straßencafés.” Sie lächelte schüchtern. “Haben Sie heute gearbeitet?”
“Ja.”
“Müssen Sie nicht wieder ins Büro?”
Steve zögerte einen Augenblick, dann schüttelte er den Kopf. “Ich kann mir ein paar Minuten frei nehmen. Zu meiner Verabredung kann ich nicht mehr gehen.” Er betrachtete den Schokoladenfleck auf seiner Hose.
“Was machen Sie beruflich, dass Sie mitten am Tag einfach Ihren Arbeitsplatz verlassen können?”, fragte Lacey neugierig.
“Sie denken wohl, dass ich meine Zeit vertrödele”, entgegnete er spöttisch. “Ich gönne mir eine Pause. Ich war, wie gesagt, auf dem Weg zu einer Verabredung, und jetzt muss ich anrufen und absagen. In diesem Aufzug möchte ich mich dort nicht blicken lassen.”
Lacey schaute beschämt zu Boden.
“Ich arbeite oft bis spät in die Nacht, da werde ich mir wohl mal eine kleine Pause leisten können”, erklärte Steve.
“Wo sind Sie tätig?”, fragte Lacey.
“Bei ‘The Chandlery’”, antwortete er kurz angebunden.
Lacey kannte den Namen. “Import-Export?” Sie war überrascht. Der Name war auch in Kalifornien bekannt.
Steve nickte.
“Und was machen Sie da?” Lacey musterte Steves teuren Anzug und die goldene Uhr an seinem Handgelenk. Was immer er bei Chandlery tat, es wurde offenbar gut bezahlt.
“Ich leite die Firma. Sie gehört mir.”
Das überraschte Lacey. Jetzt war ihr klar, warum er ein so großes Anwesen besaß. Als Inhaber dieser Firma hatte er bestimmt genug Geld.
“Als ob Sie es nicht gewusst haben”, sagte er verächtlich.
“Das habe ich auch nicht”, erwiderte Lacey scharf. Sie versuchte sich zu erinnern, ob Suzanne diesbezüglich etwas erwähnt hatte.
“Das behaupten Sie. Aber Mrs. Tuttle weiß alles über mich und meine Familie sowie mein Geschäft, und sie ist nicht der Typ, der solche Informationen für sich behält. Ich bin überzeugt, dass sie ihren Feriengästen von mir erzählt.”
Lacey wusste nicht, wie sie auf Steves Anschuldigung reagieren sollte. Warum sprach er überhaupt in einem so vorwurfsvollen Ton mit ihr?
“Glauben Sie mir, Steve, ich hatte keine Ahnung, was Sie beruflich machen”, versuchte sie, ihn zu beschwichtigen. “Bei meiner Ankunft auf der Insel waren Sie nicht da, und wenn ich darüber nachgedacht hätte, dann hätte ich angenommen, Sie sind im Urlaub.”
“Ich war auf Geschäftsreise, und jetzt bin ich zurück und muss mich auf meine Arbeit konzentrieren. Ich habe keine Zeit, mich mit einer Touristin abzugeben.”
“Wieso glauben Sie eigentlich, dass ich meine Zeit mit Ihnen verbringen will? Sie sind unhöflich und unerträglich eingebildet. Zugegeben, Sie sehen gut aus.” Das war eine gewaltige Untertreibung. Lacey war noch nie einem attraktiveren Mann begegnet, und sie genoss es, Steve einfach nur anzuschauen. “Aber Sie sind keine Gabe Gottes an die Frauenwelt, und ich würde Sie nicht einmal geschenkt nehmen.”
“Wollen Sie jetzt die Unschuld vom Lande spielen?”, warf er ihr vor. “Warum versuchen Sie denn immer, meine Aufmerksamkeit zu erregen, mich zu stören, mit mir zu flirten …”
“Flirten? Ich flirte nie!” Lacey war über diese Beschuldigung zutiefst empört.
“Sie sind äußerst verführerisch mit Ihren langen gebräunten Beinen, Ihren ausdrucksvollen Augen und dem leicht zerzausten Haar.” Steves Stimme war rau, und er bedachte Lacey mit einem durchdringenden Blick. “Und ich habe keine Ruhe mehr, seit Sie da sind. Wenn Ihr ständiges Auftauchen kein Flirten sein soll, was ist es dann? Machen Sie das in Kalifornien auch so? Bandeln Sie dort auch mit jedem Mann an?”
“Ich arbeite sehr hart und habe gar keine Zeit für so etwas”, rechtfertigte sie sich. “Ich fange morgens um sieben Uhr an und höre erst auf, wenn der letzte Streifen fertig ist. Oft arbeite ich mehr als zehn Stunden am Tag.”
“Was machen Sie?”, fragte er.
Lacey schaute zu den bunten Schiffen im Hafen. Ein dünner Ölfilm bedeckte stellenweise das Wasser und reflektierte
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