Entscheidung aus Liebe
Anscheinend hatte auch er keinen Schlaf gefunden. Chloe fragte sich, ob ihn wütende Gedanken über eine gewisse Gouvernante gequält hatten, die sich seinem unfehlbaren Willen nicht beugen wollte.
„Haben Sie die ganze Zeit über dort gestanden?" fragte sie errötend.
Er nickte. „Ich konnte nicht schlafen und hörte ihre Schreie", flüsterte er mit rauer Stimme. Mit zwei langen Schritten durchquerte er den Raum und warf seiner Nichte einen besorgten Blick zu. „Glauben Sie ... dass es ihr jetzt besser geht?"
„Sie wird bis zum Morgen schlafen", versicherte ihm Chloe.
„Geschieht dies wirklich jede Nacht? Das hat man mir zumindest berichtet."
„Ja, Euer Gnaden."
Sie wandte den Kopf ab, um nicht sehen zu müssen, wie er an Rebeccahs Bett stand. Sie hatte den ganzen Abend dazu gebraucht, sich selbst davon zu überzeugen, dass er ein gefühlloses Ungeheuer war. Doch nun wirkte er höchst menschlich, nicht mehr wie der allmächtige Duke, den er so ausgezeichnet spielte. Dennoch kam sie nicht umhin, die ehrliche Sorge in seinen Augen zu bemerken.
„Ist es immer ... so schlimm?"
„Heute war es nicht besonders schlimm", sagte sie, während sie aufstand. „Eigentlich ist es jede Nacht gleich."
„Sie sind die Einzige, die Rebeccah beruhigen kann, sagte man mir."
Sie gab ihm keine Antwort, da es mehr eine rhetorische Frage gewesen war.
„Nun ... ich habe Sie gerade beobachtet, und ich muss zugeben, dass Sie sehr geschickt im Umgang mit dem Kind sind."
Sie sah ihm in die Augen und stellte fest, dass er es ehrlich meinte. Das Mondlicht, das durch die großen Fenster hereinfiel, glänzte auf seinem dunklen Haar und betonte seine männlichen Gesichtszüge. „Erst vor einigen Stunden stellten Sie meine Kompetenz in Frage", erinnerte sie ihn.
„Ihre Urteilsfähigkeit, Miss Chloe, nicht Ihre eigentlichen Fähigkeiten. Ich kann natürlich nicht abstreiten, dass Sie sich voller Hingabe um meine Nichten kümmern und eine bewundernswerte Geduld aufbringen. Das ist sehr ... freundlich von Ihnen."
Er schien sich tatsächlich bei ihr entschuldigen zu wollen, obwohl er es niemals zugegeben hätte. Chloe ging zum Fenster und streckte die Hand aus, um den Vorhang zu schließen. Sie befürchtete, dass Rebeccah von dem allzu hellen Mondlicht wieder aufwachen könnte.
Plötzlich schnappte er hinter ihr hörbar nach Luft, und sie hielt in ihrer Bewegung inne. Sie sah über die Schulter und warf dem Duke einen fragenden Blick zu.
Das Licht des vollen Mondes fiel genau auf ihn, und sie konnte deutlich seinen fassungslosen Gesichtsausdruck erkennen. Sein Blick war auf sie gerichtet. „Stimmt etwas nicht, Euer Gnaden?" fragte sie verwirrt.
Seine Stimme klang seltsam heiser. „Miss Chloe ... Miss Pesserat, Sie sind ... Ihre Kleidung, Mademoiselle!"
Auf einmal wurde sie sich bewusst, dass sie lediglich ihr Nachthemd trug.
„Mon Dieu, das ist doch nur mein Nachthemd. Mein Zimmer ist gleich hinter dieser Tür dort, und ich habe geschlafen." Dann fügte sie trocken hinzu: „Es ist meine Angewohnheit zu dieser Stunde."
Die Schatten verschluckten ihn, als er langsam rückwärts ging. Er schien ihr nicht genug zu trauen, um ihr den Rücken
zuzukehren. „Meine Anwesenheit hier ist höchst unziemlich. Ich entschuldige mich dafür." Sie hörte nur noch, wie er die Tür am anderen Ende des Raumes öffnete und
wieder hinter sich schloss.
Angesichts seines merkwürdigen Benehmens schüttelte sie amüsiert den Kopf. Sie wusste bereits, dass er ein ungewöhnlicher Mann war, aber warum in aller Welt... Dann wurde ihr bewusst, wie hell der Mond heute Nacht schien. Sie hatte direkt in dem Licht gestanden, das durch die Fenster hereinströmte, nur in ihr Nachthemd gekleidet und noch dazu mit ausgestrecktem Arm. Nun, der Schnitt des Hemdes war nicht besonders gewagt. Aber wenn man den dünnen Stoff in das Licht hielt, wurde es ...
Vollkommen durchsichtig.
Da Rathford Manor in der Nachbarschaft von Strathmere lag, dauerte die Fahrt dorthin weniger als eine Stunde. Doch selbst diese kurze Reise schien für Jareth ewig zu währen. Seine Mutter saß ihm mit gerunzelter Stirn gegenüber, und ihre gelegentlichen entrüsteten Äußerungen galten einzig und allein dem untragbaren Benehmen der neuen Gouvernante.
„Du solltest noch einmal mit den Ärzten sprechen und sie fragen, wann wir diese Frau endlich entlassen können. Man kann nicht von uns verlangen, die Mädchen weiterhin ihrem schlechten Einfluss auszusetzen, der sogar
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