Entscheidung aus Liebe
sie mochte und sogar begehrte. Wie er sie angesehen hatte, mit diesem glühenden Blick, den sie beinahe wie eine Berührung auf ihrem Körper spürte! Nun, sie musste versuchen, ihre Gefühle für ihn zu vergessen. Er würde niemals ihr gehören, niemals aus diesem Gefängnis
ausbrechen, dessen Gitterstäbe aus Pflicht und Verantwortung bestanden. Ja, er war ein Gefangener seines eigenen Titels, ein Sklave seines Geburtsrechts, und er konnte sich nicht die gleichen Freiheiten herausnehmen wie ein gewöhnlicher Mann. Die Freiheit zum Beispiel, sie in die Arme zu nehmen und ihr seine Liebe zu bekunden. Wieder drang ein Geräusch an ihr Ohr, tiefer. Es klang beinahe wie die Stimme eines Mannes. Doch es verstummte so schnell, dass sie nicht sicher war, ob sie es wirklich gehört hatte.
Sie dachte an den betrunkenen Mann, der heute während des Dinners in das Haus gekommen war. Ob er zurückgekehrt war und lautstark randalierte? Vielleicht war es unklug von ihr, sich so weit weg vom Haus aufzuhalten.
Während sie sich dem Anwesen näherte, verstärkten sich die Geräusche. Als sie schließlich begriff, dass die Laute aus dem Haus selbst kamen, wurde ihr die Wahrheit schlagartig bewusst.
Rebeccah!
„Mon Dieu", hauchte sie, bevor sie zu rennen begann. Wie hatte sie nur so gedankenlos sein können, die Kinder derart lange allein zu lassen!
Im Haus nahm sie zwei Stufen auf einmal, ohne auf den Lärm zu achten, den sie verursachte. Hätte sie nicht solche Angst gehabt, dann wäre ihr aufgefallen, dass die Rufe aus dem Kinderzimmer bereits verstummt waren. Es dauerte mehrere Minuten, bis sie die Räumlichkeiten der Mädchen erreicht hatte, und während dieser Zeit blieb alles still. Als sie endlich über die Türschwelle des Spielzimmers stürmte, erwartete sie ein Anblick, der sie über alle Maßen erstaunte.
Jareth saß auf dem großen Schaukelstuhl, der gewöhnlich ihr Platz war. Auf seinem Schoß lag Rebeccah, die sich an ihn kuschelte und hoch zufrieden wirkte. Doch obwohl schon das allein ungewöhnlich genug war, gab es noch etwas anderes, das Chloe vor Überraschung nach Luft schnappen ließ.
Rebeccahs Augen waren offen.
Das Kind war noch niemals aus einem seiner nächtlichen Albträume erwacht. Der Doktor hatte sie sogar davor gewarnt, Rebeccah zu wecken. Seiner Meinung nach konnte dies ein so großes Trauma hervorrufen, dass das Mädchen sich nie mehr von dem Schrecken erholen würde.
Dennoch saß sie lächelnd auf Jareths Schoß und winkte Chloe zu. „Hallo, Miss Chloe", sagte sie mit einer schläfrigen Stimme.
Chloe betrachtete auch Jareth genauer. Obwohl er blass wirkte und sein Haar in alle Richtungen abstand, lag ein seliger Ausdruck auf seinem Gesicht. „Hallo, Chloe." Obwohl sie sich wie eine Idiotin vorkam, antwortete sie: „Hallo, Jareth. Hallo, Rebeccah."
Jareth sah zu dem kleinen Mädchen herab. „Möchtest du jetzt ins Bett gehen, mein Schatz?"
„Ja, Onkel."
Mit offenem Mund beobachtete Chloe, wie Jareth seine Nichte in die Arme nahm
und zurück in ihr Bett trug. Sie stand noch immer wie angewurzelt an der gleichen Stelle, als er wenige Momente später zurückkam.
„Kommen Sie", sagte er zu ihr und streckte die Hand nach ihr aus.
Fassungslos trat Chloe vor und ließ sich von ihm zum Fenster führen, wo sie wieder einmal im Mondlicht standen.
„Wo waren Sie? Ich habe den halben Haushalt nach Ihnen suchen lassen." Seine Worte klangen nicht streng, sondern sanft, beinahe zärtlich. Er hielt noch immer ihre Hand.
„Ich war in meinem Garten", antwortete sie, ohne zu bemerken, dass sie sich versprochen hatte. „Ich habe die Schreie jedoch erst vor kurzem gehört und bin sofort hierher geeilt."
„Sie sind bei dieser Kälte in den Garten gegangen?"
„Ich musste in Ruhe nachdenken. Aber was spielt das schon für eine Rolle? Sagen Sie mir lieber, was hier vorgefallen ist. Rebeccah, ist sie aufgewacht?"
Seufzend nickte er. „Sie hatte einen schrecklichen Anfall. Bette kam herauf, um mir zu helfen, aber sie war selbst bald in Tränen aufgelöst. Sie sagte, so schlimm wie heute Nacht habe sie es niemals zuvor erlebt. Rebeccah ist sogar aus dem Bett aufgestanden. Dann rannte sie orientierungslos herum."
Chloe schlug die Hand vor den Mund, während sich ihr schlechtes Gewissen wieder meldete. „Das Kind hat mich gebraucht, und ich war nicht hier. Sie muss schreckliche Angst gehabt haben." Sie wurde sich jedoch bewusst, dass Rebeccah überhaupt nicht verängstigt ausgesehen hatte, als
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