Entscheidung der Herzen (German Edition)
leistete. »Erzählt! Was habt Ihr unterwegs gehört? Kommt der König bald zurück? Wie ist die Stimmung? Wir leben ja ein gutes Stück entfernt von der Stadt und erfahren alle wichtigen Dinge meist viel zu spät.«
Sie lachte ein wenig und hob ihr Glas.
»Mylady, wir sind Fahrende. Wir kümmern uns nicht um die Politik, denn sie betrifft uns ja eigentlich kaum. Trotzdem berichte ich gern, was wir in der Stadt Nottingham erlebt haben.«
»Ich bin sehr gespannt.«
»Nun, gestern, es muss kurz vor der Schlieβung der Stadttore gewesenen sein, trafen zwei Geistliche in Nottinghamein. Sie stellten sich auf den Marktplatz, mitten zwischen die Fischbratküchen und Händler. Der eine von ihnen, ein schon etwas älterer Mann von sehr schmaler Statur, stieg auf einen Stein und begann zu reden. Doch seine Stimme trug nicht, sodass die Menschen vorbeigingen, ohne ihm auch nur die geringste Beachtung zu schenken. Doch dann stellte sich der andere, der eindeutig jünger war, zu ihm auf den Stein. Er breitete die Arme weit aus und verkündete dann mit wohlklingender Stimme seine Botschaft. Er sprach vom Licht, welches den Menschen den richtigen Weg weist. Er sprach davon, Liebe für jedes Lebewesen zu zeigen und Verzeihung wie Vergebung zu üben. Gottes Wort, so sagte er, dürfe jeder verkünden. Jeder, der an Gott glaubt. Nicht Geld, Macht und Reichtum entschieden über die Gewichtigkeit eines Wortes, sondern nur der tiefe und reine Glaube, der dem Licht der Erleuchtung folgt. Eine neue Welt, so sagte er, gelte es zu bauen. Eine Welt, in der jeder des anderen Freund sei und alle dieselben Rechte haben. Verliert euch nicht im Abschiednehmen, lasst die Toten die Toten begraben und baut die Zukunft der Lebenden mit den eigenen Händen, so lauteten seine Worte.«
»Habt Ihr die Predigt auswendig gelernt«, fragte Lady Elizabeth, als Adamo seine Rede beendet hatte.
»Ja, Mylady, das habe ich. Denn seine Worte trafen uns alle mitten ins Herz. Etwas Altes geht zu Ende, aber wir müssen uns auf die Gegenwart konzentrieren, um die Zukunft bauen zu können. Wir werden nach Amerika gehen, sobald der Prediger Cassian das Signal dazu gibt.«
»Cassian sagt Ihr? Der Prediger nennt sich Cassian?«
»Ja, Mylady. Und sein Begleiter heiβt George Fox. Und wir werden mit ihnen nach Amerika gehen. Wir werden schonbald aufbrechen. Wir werden eigenes Land besitzen, in eigenen Häusern wohnen und unsere Kinder in Schulen schicken können.«
»Und das alles hat Euch dieser Prediger versprochen.«
»Ja, Mylady. Hunderte folgen ihm schon, hört man. Er ist zwar noch jung und niemand kennt ihn, aber es geht eine solche Kraft von ihm aus, dass es Gott sein muss, der aus seinem Mund spricht.«
Während Lady Elizabeth mit vor Verwunderung weit aufgerissenen Augen Adamos Ausführungen lauschte, war Cathryn lange schon klar, dass es sich bei dem Prediger um keinen anderen als Cassian von Arden handeln konnte. Zu gut passten die Erzählungen des Gauklers zu Davids Worten, als das ein Zweifel möglich war. Er war in Nottingham, dies wusste Cathryn nun zumindest mit Sicherheit.
Während ihre Mutter sich weiter mit Adamo unterhielt, war Cathryn in Gedanken bei Cassian und sprach mit ihm: »Warum gehst du nach Amerika?«, fragte sie den Liebsten in Gedanken. »Und warum bist du Geistlicher geworden? Glaubst du nicht mehr an die Liebe, an unseren Schwur? Ach, Cassian, vielleicht gibt es für uns doch eine Möglichkeit, eines Tages miteinander glücklich zu werden. Auch, wenn es jetzt nicht so aussieht, so gebe ich die Hoffnung noch nicht auf. Du bist mein Leben, mein Licht, meine Luft zum Atmen. Ohne dich kann und will ich nicht sein. Warum lässt du mich im Stich?«
Sie war so in ihr Selbstgespräch versunken, dass sie kaum merkte, wie Adamo sich von ihr verabschiedete. Doch er hatte die Tür noch nicht ganz hinter sich zugeschlagen, da redete sie schon auf ihre Mutter ein: »Es ist Cassian. Er ist Prediger geworden. David hat mir das bereits in der Nachterzählt, in der er aus London zurückgekehrt war. Bitte, Mutter, ein einziges Mal noch will ich ihn sehen. Ein einziges Mal noch mit ihm sprechen, bevor er über das Meer nach Amerika geht.«
Lady Elizabeth schüttelte zweifelnd den Kopf.
»Es ist besser, du vergisst ihn. Und auch ich glaube nicht, dass er dich noch einmal sehen möchte. Denk nur an die Worte, die er den Menschen verkündet. »Verliert Euch nicht im Abschiednehmen.« Er hat mit allem gebrochen, was bisher sein Leben bestimmt hat.
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