Entscheidung der Herzen (German Edition)
sie die Müdigkeit. Bleischwer legte sie sich auf ihre Glieder, der Blick verschwamm ihr vor den Augen und ehe sie es versah, war sie auch schon eingeschlafen.
»Ruh dich aus, kleine Schwester«, flüsterte David, nahm seinen Umhang und legte ihn liebevoll um Cathryn. Dann griff er in seinen Hosenbund und zog mit klopfendem Herzen einen Brief hervor, den ein Bote an diesem Morgen in aller Herrgottsfrühe gebracht hatte. Es war ein Brief von Laetitia:
«Lieber David«, schrieb sie.
»Ich darf Euch doch beim Vornamen nennen, nicht wahr? Bitte verzeiht mir, dass ich Euch davon gelaufen bin. Doch als ich hörte, dass Ihr mich zur Frau nehmen wollt, konnte ich nicht anders.
Auch Ihr habt mir auf den ersten Blick das Herz höherschlagen lassen. Fast schon glaubte ich, auch für mich gäbe es noch eine Zukunft, die licht und freundlich ist. Doch die Schatten meiner Vergangenheit werden meine Zukunft weitgehend bestimmen. Bitte fragt mich nicht nach den Gründen. Ich versichere Euch, sie sind wohl überlegt, doch ich kann niemals Eure Frau werden. Auch bitte ich Euch, mir nicht zu schreiben. Ich werde Euch ein liebes Angedenken bewahren, doch möchte ich Euch innigst bitten, mich zu vergessen.
Gott segne Euch
Laetita.«
Verwundert las David den Brief noch ein zweites Mal, dann schüttelte er den Kopf und sah nachdenklich aus dem Fenster. »Was hat Laetitia nur erlebt?«, murmelte er leise vor sich hin. »Was um alles in der Welt ist ihr in der Vergangenheit angetan worden, dass sie jeden Glauben an eine Zukunft verloren hat?«
Ohne dass er es bemerkte, ballten sich seine Hände zu Fäusten. »Ich werde es herausbekommen, was immer es sein mag. Noch ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit nicht gesprochen.«
Zur Mittagszeit passierten sie ohne Mühe das Stadttor und mieteten sich bei Lady Silvana, Elizabeths Schwester, ein. Die Tante begrüβte sie mit groβer Herzlichkeit. Auch sie hatte schon von den Wanderpredigern gehört.
»Oh, ja,«, meinte sie. »Ganz Nottingham spricht über diesen Cassian und seinen Freund George Fox. Einige behaupten, er sei ein Lord aus der Gegend, andere erzählen, der Heilige Geist sei ihm als Licht am Ende eines finsterstenTunnels erschienen. Welche Geschichten auch immer zutreffen, fest steht jedenfalls, dass er ein wirklich gutaussehender junger Mann ist. Die Leidenschaft steckt ihm offensichtlich in den Knochen und ich kann nur sagen, dass ich es auβerordentlich bedauere, dass er wohl für die Welt der Frauen verloren ist.«
Sie lächelte ein wenig maliziös und zuckte kokett mit den Schultern, eine Geste, die bei ihr mädchenhaft wirkte, obwohl sie schon über 40 Jahre alt war.
»Cathryn, ich kann dir nur empfehlen, heute Abend mitzukommen. Er wird wieder auf dem Marktplatz sprechen. Falls seine Worte auch dein Herz nicht berühren sollten, kannst du dich zumindest an seinem Anblick erfreuen. Obwohl…«
Sie machte eine Pause und sah ihre Nichte mit einer Mischung aus Nachdenklichkeit und Freundlichkeit an, bevor sie weitersprach; »… obwohl die Frauen und Mädchen reihenweise in religiöse Verzückung verfallen, wenn sie ihn sprechen hören. Auch die Männer hängen an diesen so wunderbar sinnlichen Lippen. Ja, er wählt seine Worte klug und versteht es, den Menschen in diesen schweren Zeiten Hoffnung und Stolz zu geben. Und das ist wohl das Wichtigste und für viele von uns alles, was wir noch haben: Stolz und Würde.«
Sie winkte ab und der schwärmerische Zug um ihren Mund verwandelte sich in ein Lächeln. »Naja, seht selbst. Ich bin sicher, Ihr werdet ebenso begeistert sein wie alle Nottinghamer. Aber sagt einmal, kennt ihr beiden ihn nicht vielleicht sogar? Es heiβt, er stamme von einem Manor in dieser Gegend.«
Cathryn und David wechselten einen kurzen Blick, dann nickte Cathryn. Sie mochten ihre Tante, die man vielleichtnicht unbedingt als gehorsame und demütige Frau bezeichnen konnte, die ihrem Gatten, Lord Benjamin Whitechap, dem obersten Richter Nottinghams, aber in groβer Liebe zugetan war. Ihre stets heitere Art lieβ sie manchmal ein wenig oberflächlich erscheinen, aber in ihrer Brust schlug ein groβes, mitfühlendes und weites Herz.
»Er ist mein bester Freund«, gestand David.
»Und er ist meine groβe Liebe, auch, wenn wir füreinander verloren sind«, gab Cathryn zu.
»Oh!«, war alles, was Lady Silvana dazu zu sagen hatte. Dann lieβ sie sich auf einen Lehnstuhl fallen und fächelte sich mit der Hand Luft zu.
»Jetzt habt Ihr mich aber
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