Entscheidung in Gretna Green
und Ihre Schwester im Gasthaus, bevor sie aufbrechen.“ Felicity hielt den Blick weiterhin aus dem Fenster gerichtet, um ihn nicht ansehen zu müssen.„Sobald wir die Ausreißer zur Vernunft gebracht haben, gönnen wir uns einen Tag Ruhe, bevor wir uns auf die Rückreise nach Bath begeben.“
Hawthorn nickte und brummte etwas in sich hinein, was nicht sehr überzeugend klang.
Natürlich wünschte er sich sehnlichst, seine ungestüme kleine Schwester zur Vernunft zu bringen, bevor sie ihren Ruf hoffnungslos ruinierte. Das bedeutete allerdings auch, dass er sich wieder von Felicity trennen musste. Diesmal endgültig und für immer.
Trotz seines beängstigenden Albtraumes hatte er Mühe, sich mit diesem Gedanken anzufreunden.
5. KAPITEL
Nach scheinbar endloser Fahrt rollte Lady Lytes elegante Reisekarosse endlich an einem stattlichen Gasthaus vor und hielt unter einem bemalten Schild, das ein altes königliches Wappen zierte.
Felicity zwang sich, Hawthorn ins Gesicht zu sehen, und schlug einen beiläufigen Ton an. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir Oliver und Ihre Schwester hier antreffen.“
Sie schämte sich zutiefst, letzte Nacht die Nerven verloren zu haben. Sie hatte geschrien wie eine Irrsinnige, als Hawthorn und der Straßenräuber kopfüber in ihrer Kutsche gelandet waren, und dann hatte sie ihren Retter wie eine Furie mit Fäusten traktiert. Als wäre das nicht schon beschämend genug, hatte sie sich anschließend schluchzend wie ein verängstigtes Kind an ihn geklammert.
Dass er das alles mit Gelassenheit und Fürsorge über sich ergehen lassen hatte, schenkte ihr keine Erleichterung.
Wenn sie in den zweiunddreißig Jahren ihres Lebens etwas gelernt hatte, so war es die Einsicht, dass eine Frau gut beraten war, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und auf eigenen Beinen zu stehen. Auf niemanden sonst war Verlass – schon gar nicht auf einen Menschen, der Hosen trug.
Sie durfte nicht zulassen, dass Hawthorn Greenwood versuchte, sie von dieser Überzeugung abzubringen.
Hawthorn streckte seine langen Beine von sich und lachte leise. „Sollte der junge Armitage es schaffen, meine Schwester zu dieser frühen Morgenstunde aus dem Bett zu holen, verdient er meine Hochachtung.“
Erst dann schien ihm der Sinn seiner Worte zu dämmern, und er furchte die Stirn. „Ihr Neffe hatte hoffentlich so viel Anstand, getrennte Zimmer zu nehmen.“
Seine Bemerkung griff Felicitys ohnehin strapazierte Nerven nur noch mehr an.
„Natürlich hat Oliver für getrennte Zimmer gesorgt“, entgegnete sie aufbrausend. „Mein Neffe ist ein ehrenhafter junger Mann. Nur weil er sich zu dieser überstürzten Reise nach Schottland hinreißen ließ, bedeutet das keineswegs, dass er die Unschuld Ihrer Schwester kompromittieren würde. Sie ist keine reiche Erbin und er kein Mitgiftjäger.“
Nachdem das britische Parlament den Lord Hardwick’s Marriage Act vor mehr als fünfzig Jahren verabschiedet hatte, in dem festgelegt wurde, dass eine Heirat zwischen Minderjährigen die Einwilligung der Eltern bedurfte, war es skrupellosen Heiratsschwindlern schwerer gemacht worden, naive junge Mädchen um ihr Vermögen zu bringen. Verliebte junge Paare, die dennoch entschlossen waren zu heiraten, mussten seither die lange Reise nach Schottland auf sich nehmen, wo Minderjährige immer noch ohne Zustimmung ihres Vormunds heiraten durften. Es gab allerdings nicht selten gewissenlose Schurken, die ihrer künftigen Braut bereits auf der langen Reise die Unschuld nahmen, um ihr Ziel mit Sicherheit zu erreichen.
Hawthorn musterte Felicity finster. „Beschuldigen Sie meine Schwester etwa, Ihrem Neffen wegen seines Vermögens nachzustellen?“
„Sie wäre nicht die Erste.“
Kaum waren ihr die Worte entschlüpft, wünschte Felicity, ihre spitze Zunge gehütet zu haben. Ivy Greenwood mochte ein unbesonnener Wildfang sein, schien aber auch warmherzig und aufrichtig zu sein – nicht zu vergleichen mit den habgierigen, berechnenden jungen Damen der Gesellschaft, die Oliver in den Sommermonaten in Bath stets schöne Augen machten.
Sollten sie die jungen Liebenden hier im King’s Arms antreffen, würde der heutige Tag die endgültige Trennung von Hawthorn bedeuten. Wenn sie im Streit auseinandergingen, würde ihr der Abschied gewiss leichter fallen.
An diesen Gedanken klammerte sie sich, befürchtete jedoch insgeheim, dass ihr ein Abschied im Groll tatsächlich nur noch mehr schlaflose Nächte bescheren würde.
„Es mag Sie
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