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Entscheidung in Gretna Green

Entscheidung in Gretna Green

Titel: Entscheidung in Gretna Green Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DEBORAH HALE
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erzählt, die durch den Kuss wahrer Liebe aus einem hundertjährigen Schlaf geweckt worden war.
    Siehst du, mein kleiner Schatz, die Liebe ist eine große Macht, wenn wir nur den Mut haben, sie zuzulassen.
    Er hatte Jahrzehnte nicht an diese Geschichte gedacht. Auch nicht an die Zärtlichkeiten seiner Mutter. Erinnerungen waren gefährlich, sie könnten ihm das Herz zerreißen, ihm noch schlimmere Schmerzen zufügen, als jetzt durch seinen geschundenen Körper tobten.
    Und dann sah Hawthorn das Bild seiner Mutter vor sich, deutlicher als seit Jahren – seiner Schwester sehr ähnlich, ohne die wehmütigen Schatten der Trauer, die Rosemary bis vor Kurzem gezeichnet hatten. Er las auch Spuren von Ivy im geliebten Gesicht der Mutter, ihren Liebreiz, aber ohne Ivys sprunghafte Launen, die ihm so oft zu schaffen machten.
    Hawthorn hoffte, wenigstens einige der liebenswerten Eigenschaften seiner Mutter in sich zu tragen, wenn er auch nichts von ihrer Schönheit an sich hatte.
    Mit einem Mal erfasste ihn eine Woge der Erschöpfung, er ließ sich von ihr mitreißen, fort von Schmerzen und Sorgen, hinein ins erlösende Vergessen.
    Und wieder hörte er die Stimme seiner Mutter, klar und deutlich. Ich muss jetzt gehen, mein lieber Junge.
    Er hatte gewusst, dass sie diesmal nicht ans Meer nach Bournemouth oder zur Kur nach Bath reisen würde. Diese Aufenthalte brachten lediglich eine vorübergehende Besserung ihres angegriffenen Gesundheitszustands. Er hatte nicht gewollt, dass sie von Abschied sprach, hatte sich immer wieder eingeredet, sie würde bald wieder gesund werden, wobei er sich kaum an eine Zeit erinnern konnte, in der sie nicht krank gewesen war.
    Es ist mir eine große Erleichterung, zu wissen, dass du dich um deine Schwestern kümmerst. Besonders um die Kleine. Sie wird es nicht leicht haben, das arme zarte Wesen.
    Er war nahe daran gewesen, ihr die Bitte abzuschlagen. Hätte er die Verantwortung für Rosemary und Ivy abgelehnt, wäre seine Mutter vielleicht nicht für immer gegangen, hätte vielleicht verbissener darum gekämpft, bei ihren Kindern zu bleiben.
    Er hätte gerne gefragt, warum sie die Last der Verantwortung für seine Schwestern auf seine jungen Schultern legte und nicht auf die seines Vaters. Aber er hatte es nicht getan, weil er die Antwort bereits kannte.
    Er war ein pflichtbewusster Junge gewesen und hatte sich der Verantwortung gestellt. Er hatte auch keine Tränen zugelassen, obschon er geahnt hatte, dass sie den Knoten aus Angst und Trauer tief in seinem Innern vielleicht gelöst hätten.
    Seit diesem Tag hatte er alles darangesetzt, seinen Schwestern eine unbeschwerte Kindheit zu bieten und sie zu jungen Frauen zu erziehen, auf die ihre Mutter stolz gewesen wäre. Als Rosemary schließlich seinen alten Freund Merritt Temple heiratete, war ihm ein Teil der Last von den Schultern genommen worden.
    Falls es ihm aber nun nicht gelingen würde, Ivy vor ihrer romantischen Verrücktheit zu bewahren, wären all seine Mühen vergeblich gewesen.
    Also kämpfte er weiter gegen das Dunkel an, obgleich er lieber aufgegeben hätte, klammerte sich an verschwommene Reste seines Bewusstseins mit störrischer Hartnäckigkeit, eine seiner nützlichen Tugenden … wenn auch keine glanzvolle.
    Dann hörte Hawthorn eine zweite Stimme, eine Männerstimme – die Stimme eines Folterknechts.
    „Nichts gebrochen, soweit ich feststellen kann“, verkündete dieser leutselig, während er ihn knuffte, an ihm zerrte und knetete, offenbar entschlossen, ihm die Knochen zu brechen. „Das kalte Wasser hat auch schwere Blutergüsse verhindert.“
    „Hau ab!“ Ein trockenes Krächzen entrang sich Hawthorns Kehle, und er zuckte vor den knetenden Händen des Grobians zurück.
    Wenigstens gehorchte ihm sein Körper wieder. Würden seine Augen sich öffnen, wenn er sich nur genug anstrengte?
    Es gelang ihm!
    In Erwartung, ein Flussufer in Gloucestershire zu sehen oder das Innere von Lady Lytes Kutsche, erschrak Hawthorn beim Anblick eines Schlafzimmers im Kerzenschein. War er wirklich bei Bewusstsein oder hatte er immer noch Visionen, die ihm die Stimme und das Gesicht seiner verstorbenen Mutter vorgegaukelt hatten?
    Ohne auf Hawthorns derbe Abfuhr zu achten, lachte der Besitzer der Stimme leise und drückte eine sehr empfindliche Stelle an seinen Rippen. „Ja. Gut. Ich wusste, dass ich ihn damit wecke.“
    „Nehmen Sie Ihre verdammten Finger von mir!“ Hawthorn stieß die Hand weg und versuchte, seinen verschwommenen Blick

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