Entscheidung in Gretna Green
und einen Doktor oder … wenigstens Pflege. Mr. Greenwood bat mich, auf Sie aufzupassen, das habe ich ihm versprochen.“
Dass Hawthorn in seiner Güte ihren Diener gebeten hatte, ihm diesen Gefallen zu tun, rührte Felicity tief. Aber nach den Anschuldigungen, die sie ihm und seiner Schwester an den Kopf geworfen hatte, verdiente sie seine Fürsorge nicht.
Der Stallmeister wirkte noch bedrückter als Ned, sich ihrem Befehl widersetzen zu müssen. Aber auch er bestand auf eine Unterbrechung der Reise.
„In Ihrem Zustand dürfen Sie nicht weiterreisen, Mylady. Sie können uns beide aus Ihren Diensten entlassen, wenn Sie wieder gesund sind, aber wir fahren keine Meile, ehe wir nicht wissen, was mit Ihnen ist.“
„Wenn es unbedingt sein muss.“ Sie fühlte sich zu elend, um zu streiten. Die Aussicht, sich auf einem Bett ausstrecken zu können, war außerdem sehr verlockend.
Felicity schaffte es, aus der Kutsche zu steigen, doch dann verließen sie die Kräfte, und sie sank in Mr. Hixons starke Arme.
Sie fürchtete, ihr Kind zu verlieren. Es gab keine andere Erklärung für diese plötzlich einsetzenden unerträglichen Leibschmerzen.
Obwohl ihr das Herz blutete bei dem Gedanken an diesen letzten, unersetzlichen Verlust, fragte sie sich bang, ob sie diese Strafe nicht verdiente. Erst vor wenigen Stunden hatte sie den jungen Mann verstoßen, den sie behauptete, wie einen Sohn zu lieben. Sie hatte ihm unlautere Motive unterstellt, ihm sein Lebensglück missgönnt und versucht, ihm ihren Willen aufzuzwingen. Sie war selbstsüchtig und herrisch. Wie könnte sie da jemals eine gute Mutter für ihr Kind sein?
„Ich wünschte, unsere Mutter könnte dich heute sehen, Schwesterherz.“ Vor der Dorfkirche in Gretna Green drückte Hawthorn Ivy einen Kuss auf die Stirn. „Sie wäre gewiss ebenso stolz auf dich, wie ich es bin.“
Ivys zartes Kinn begann zu zittern, und ihr Lächeln zerfloss zu einer bekümmerten Grimasse. Sie sah aus wie ein reumütiges kleines Mädchen, dessen letzter Streich ein Unglück heraufbeschworen hatte.
„Bitte bring mich jetzt nicht zum Heulen, so kurz vor der Trauung, auch wenn ich es verdient habe.“
Er fischte ein Taschentuch aus seinem Frack und reichte es ihr – nur für den Fall.
Ivy betupfte sich die Nase. „Wie konnte ich mich nur als Ehestifterin aufspielen! Damit habe ich alles zwischen dir und Lady Lyte verdorben. Eigentlich hättest du jedes Recht, mich nach Barnhill zu schleppen und auf dem Dachboden einzusperren für meine Dummheit.“
„Nun hör aber auf.“ Er hob ihr Kinn mit dem Zeigefinger. „Auf dem Dachboden einsperren? Ist das nicht zu umständlich? Wieso schleppe ich dich nicht zum Solway Firth und überlasse dich deinem Schicksal im Treibsand?“
Ivy erwiderte seinen plumpen Scherz mit einem schiefen Lächeln. „Tu nicht so, als würde es dir nichts ausmachen. Das schmerzt mich mehr als alle Vorwürfe.“
„Natürlich bin ich traurig darüber, wie die Dinge zwischen Felicity und mir sich entwickelt haben“, gestand er. „Aber dich trifft keine Schuld daran. Ich weiß, du hattest die besten Absichten für unser Glück. Aber wenn sie wirklich davon überzeugt ist, wir hätten uns diesen niederträchtigen Plan ausgedacht, um sie und ihren Neffen in eine Falle zu locken, dann ist es wohl besser, dass ich Lady Lyte nie wiedersehe.“
Und wenn er sich dies nur oft genug einredete, würde er vielleicht daran glauben können.
Der Frühlingswind spielte in Ivys Locken, und die Sonne verlieh ihrem Haar einen goldenen Glanz. Der Blick ihrer blaugrünen Augen traf Hawthorn ins Herz.
„Daran glaube ich heute ebenso wenig wie an dem Tag, als Oliver und ich uns heimlich aus Bath davonmachten. Und ich bin sicher, tief in ihrem Herzen glaubt Lady Lyte nichts von den grässlichen Anschuldigungen, die sie uns an den Kopf geworfen hat.“
Er bedachte seine kleine Schwester mit einem nachsichtigen Lächeln und wiegte den Kopf hin und her.„Ich wünschte, ich könnte deinen grenzenlosen Optimismus teilen, Schwesterherz.“
„Daran ist weit mehr als die Zuversicht, dass alles sich zum Guten wenden wird, Hawthorn.“ Ivy umfing seine Hand und blickte ihm tief in die Augen, als wollte sie ihn zwingen, ihre Überzeugung zu teilen. „Erinnerst du dich, wie Merritt unsere Schwester Rosemary beschuldigte, ihn in eine Falle gelockt zu haben, als er erfuhr, dass wir unser Vermögen verloren hatten?“
„Wie könnte ich das je vergessen?“ Es hatte ihn damals schier
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