Entscheidung in Gretna Green
zerrissen, zusehen zu müssen, wie seine geliebte Schwester und sein bester Freund einander unglücklich machten.
„Wahrscheinlich hätten die beiden sich nie versöhnt, wenn du nicht gewesen wärst“, fuhr sie fort, „wobei ich genau weiß, dass du dich nicht als Ehestifter aufspielen wolltest.“
Hawthorn runzelte die Stirn und bemühte sich um einen strengen brüderlichen Tonfall. „Komm bloß nicht auf die absurde Idee, Fürsprache bei Lady Lyte für mich einzulegen. Schlag dir das augenblicklich aus dem Kopf, junge Dame! Das dulde ich nicht. Hast du verstanden?“
„An so etwas hätte ich im Traum nicht gedacht!“, entrüstete Ivy sich. „Lady Lyte und du, ihr müsst selber um euer Glück kämpfen. Ich weiß, dass du das schaffst, wenn du es nur versuchst.“
Sie nickte zur Sakristei hinüber, wo der Bräutigam war tete. „In der letzten Woche habe ich große Fortschritte gemacht, erwachsen zu werden, musst du wissen. Nachdem Oliver mir einiges über sich und seine Tante erzählte, empfinde ich mit sehr reichen Menschen eigentlich Mitleid. Wie können sie je darauf vertrauen, dass sie um ihretwillen geliebt werden?“
Noch vor Kurzem hatte Felicity geglaubt, Hawthorn habe nicht die Absicht, sich durch sie zu bereichern. Er entsann sich, wie sehr ihn ihr Geständnis gerührt hatte.
Ivy drückte seine Hand fester. Nie zuvor hatte er seine unbekümmerte, flatterhafte kleine Schwester von so leidenschaftlichem Ernst erfüllt gesehen. „Als Lady Lyte diese hässlichen Worte sagte, wollte sie damit eigentlich zum Ausdruck bringen, dass sie nicht glaubt, es zu verdienen, um ihretwillen geliebt zu werden. Ihr Misstrauen richtete sich nicht gegen dich – sondern gegen sich selbst.“
Er wollte Ivy sagen, sie solle sich an ihrem Hochzeitstag nicht in sentimentalen Gefühlsduseleien für andere ergehen. Doch bevor er ein Wort herausbrachte, tauchte eine verwirrende Fülle von Erinnerungen in ihm auf. Das lebhafteste Bild war noch keinen Tag alt. Er hörte Felicitys Flüstern so deutlich, als halte er sie in diesem Augenblick in den Armen.
Du verdienst eine weit bessere Frau als mich.
Hatte Ivy möglicherweise recht? Oder klammerte er sich lediglich an eine hoffnungsvolle Illusion, weil er nicht Manns genug war, sich der Wahrheit zu stellen?
„Du musst ihr hinterherreiten, Hawthorn.“ Ivy drückte seine Hand so fest, dass es schmerzte. „Ich weiß, wenn Lady Lyte in Ruhe über alles nachdenkt, wird sie einsehen, dass sie im Unrecht war. Und was bleibt einem während einer langweiligen Fahrt schon anderes übrig, als nachzudenken?“
Wenn seine unschuldige kleine Schwester nur wüsste! Hitze kroch seinen Hals hinauf und lief über sein Gesicht.
Gerade rechtzeitig tauchte Oliver Armitage in der Kirchentür auf mit einem fragenden Ausdruck in seinem klugen, hageren Gesicht.
Ivy warf ihm einen Blick zu, und in ihren Augen tanzten schalkhafte Funken. „Es sei denn, man reist in angenehmer Begleitung!“
Vielleicht wusste die kleine Hexe beinahe so viel wie er, überlegte Hawthorn und dachte an die leidenschaftliche Umarmung, in der er Ivy mit Oliver ertappt hatte.
Oliver Armitage zog eine Augenbraue hoch, als wolle er seine Braut fragen, was sie denn so erheiterte, während er ein schlotterndes Nervenbündel war. „Ich befürchtete schon, du hättest kalte Füße bekommen und bätest deinen Bruder, dich nach Hause zu bringen.“
„Nie und nimmer!“ Das Blitzen in Ivys Augen vertiefte sich zu einem warmen liebevollen Glanz. „Ich wollte Hawthorn nur noch ein paar Ratschläge für sein künftiges Glück geben … nachdem ich mir geschworen habe, mich nie wieder in die Liebeshändel anderer Leute einzumischen.“
„Dann komm endlich, kleine Kupplerin.“ Hawthorn schob die Hand der Braut in seine Armbeuge. „Wir dürfen den Bräutigam nicht länger warten lassen.“
Oliver verschwand schnell wieder in der Sakristei, während Hawthorn und Ivy gemessenen Schrittes folgten.
Auf der Schwelle zögerte Ivy und er fragte sich, ob sie plötzlich Zweifel befielen.
Sie blickte zu ihm auf. „Tust du mir bitte einen Gefallen, Hawthorn – als Hochzeitsgeschenk?“
Woher wusste sie, wie sehr er bedauerte, kein Geschenk an diesem besonderen Tag für sie zu haben?
„Einverstanden. Was wünschst du dir?“
„Reite Lady Lyte nach, wenn auch nur, um dich zu vergewissern, dass sie wohlbehalten in Trentwell ankommt. Ich weiß, dass Oliver sich Sorgen um sie macht und unglücklich darüber ist, sich gegen
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