Entschuldigen Sie Meine Stoerung
Jehovas. Wenn wir schon bei den Leuten zu Hause klingeln, um sie wegen Verbrechen zu befragen, können wir sie auch gleich vom Eintritt in die Religionsgemeinschaft überzeugen. Wo die Tür schon mal offen ist.«
Ich lehne dankend ab, lasse aber seinen Kollegen in die Wohnung, damit er für die Stadtwerke den Stromzähler ablesen kann.
4
Mein Name ist Jan-Uwe Fitz, und ich habe Angst vor Menschen. Vor jedem. Vor Familienmitgliedern wie vor Fremden. Ich ertrage Artgenossen höchstens zehn Minuten lang. Allein die Aussicht, einen Menschen zu treffen, versetzt mich in Panik. Wenn ich allerdings eingeladen werde, dann erscheine ich auch, trotz meiner Ängste. Ich bin aber kein Held. Nur höflich.
Am liebsten werde ich schriftlich eingeladen, denn auf mündliche Einladungen reagiere ich mit einem Angstschrei. Von der Einladung bis zum Tag der Feier bin ich übernervös und panisch und kriege nichts auf die Reihe.
Kaum bin ich auf der Party, bin ich aber auch schon wieder weg. Eben nach zehn Minuten. Weil ich es keine Sekunde länger aushalte. Ich verlasse die Veranstaltung, ohne ein Wort zu sagen, denn wie sollte ich meinem Gastgeber glaubhaft erklären, dass ich es schlicht nicht mehr aushalte? Der wäre doch tödlich verletzt. Ich möchte aber niemanden verletzen. Den Mut, die Wahrheit zu sagen (»Nichts für ungut, Herr Paschulke, ich muss nach Hause, ich piesele mir gerade aus Angst vor den vielen fremden Menschen in die Hose«), bringe ich auch nicht auf. Es bleibt also nur die heimliche Flucht.
Die wenigen Minuten auf der Feier verbringe ich sehr intensiv. Ich stürze in die Wohnung, sage den Gastgebern schnell Hallo, dann geht es auch schon weiter an das Buffet, wo ich so schnell wie möglich so viel wie möglich in mich hineinstopfe.
Dann wird getanzt. Hektisch. Und schon bevor all die anderen loslegen. Schließlich habe ich nicht mehr viel Zeit. Die zehn Minuten ticken unbarmherzig herunter. Zwischendurch unterbreche ich abrupt meinen Tanz und spüre in mich hinein: »Was macht die Menschenangst? Geht’s noch?« Schließlich wird mich die Panik bald lähmen. Aber am besten nicht auf der Tanzfläche, wenn ich es vermeiden kann.
Um Zeit zu sparen, kaue ich das Essen vom Buffet auf der Tanzfläche. Bei meinem Tanzstil malmt mein Kiefer sowieso. So spare ich Energie. Natürlich kann es vorkommen, dass mir bei meinen gewagten Moves Essen aus dem Mund fällt, das ich in der Eile noch nicht hinunterschlucken konnte. Und mein Mund ist ja ziemlich voll. Nur wenn ich gleichzeitig tanze und esse, habe ich für beides Zeit. Nacheinander? Keine Chance. Zehn Minuten sind schnell vorbei. Der Einfachheit halber sollte ich direkt am Buffet tanzen. Aber das traue ich mich einfach nicht. Wie sieht das denn aus? Ich habe schließlich auch meinen Stolz.
Gerade kreise ich noch mit der Hüfte wie der junge John Travolta, da wird die Angst vor anderen Menschen auch schon übermächtig. Jetzt nichts wie raus. Höchste Zeit, heimlich zu verschwinden. Nun stellen Sie sich das mal nicht zu einfach vor, sich »heimlich« aus dem Staub zu machen, wenn Sie gerade noch wild und ausgelassen durch den Raum tanzten und Ihnen dabei Kartoffeln und Chicken Wings aus dem Mund purzelten. Aber ich bin gut. Ich bin ein sozialer Houdini. Ein gesellschaftlicher Entfesselungskünstler. Die Party, von der ich mich nicht heimlich verdrücken kann, muss erst noch gefeiert werden.
Entscheidend ist das richtige Fluchtfahrzeug. Den Taxifahrer, der mich hergefahren hat, habe ich selbstverständlich schon beim Aussteigen gebeten, er möge kurz auf mich warten:
»Ich gehe nur schnell ins Haus, esse, tanze und bin gleich wieder zurück. Lassen Sie den Motor laufen. Wir müssen dann schnell weg.«
Knapp zehn Minuten später stürze ich auch schon aus dem Hauseingang, hetze zum Taxi, reiße die Hintertür auf, springe auf den Rücksitz und befehle: »Los! Fahren Sie!« Das Taxi startet mit quietschenden Reifen.
Oft fragen mich Taxifahrer aufgeregt: »Was haben Sie denn getan? Was Kriminelles? Haben Sie etwas gestohlen?«
»Ja, mich von der Party«, antworte ich dann. »Ohne mich zu verabschieden.«
Damit ist das Gespräch normalerweise beendet, und die Taxifahrer bremsen von 100 auf 50 km/h herunter. Vor kurzem aber hakte ein besonders neugieriger Taxifahrer nach:
»War es so langweilig dort?«
»Nein, aber ich bin gestört. Ich halte es unter Menschen kaum zehn Minuten lang aus. Wenn Sie in zehn Minuten kurz anhalten könnten? Dann gehe ich den Rest
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