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Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Entschuldigen Sie Meine Stoerung

Titel: Entschuldigen Sie Meine Stoerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Fitz
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denke?«
    »Wenn es positiv ist …«
    »Sie haben nicht mehr alle Latten am Zaun. In zehn Minuten haben Sie den Wert Ihres Gastgeschenks auf keinen Fall reingesoffen und reingefressen. Und dann noch das Taxi. Was Sie Ihre Höflichkeit für ein Geld kostet.«
    »Was soll ich denn machen?«, gebe ich ärgerlich zurück. »Ich kann mir meine Störungen ja nicht aussuchen, nicht wahr? Und die behandeln zu lassen, kommt mich noch teurer. Übrigens, wenn Sie hoffen, dass Sie wegen Ihres Interesses an meiner Person mehr Trinkgeld bekommen: Vergessen Sie es. Ich gebe nie Trinkgeld. Sie versaufen das nur und sind eine Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer.«
    Den Rest der Fahrt sagt der Taxifahrer kein Wort mehr. Ich dresche noch die eine oder andere Phrase wie »Ja, ja.« oder »Und sonst so?«, aber er ignoriert mich konsequent. Was nicht sonderlich schlimm ist, denn meine zehn Minuten sind sowieso vorbei. Ich bitte ihn, anzuhalten, gebe ihm kein Trinkgeld und gehe die letzten zwölf Kilometer zu Fuß.

5
    Mein Verhalten hat einen Vorteil: Es spricht sich herum. Ich werde deshalb nur noch selten eingeladen. Eigentlich überhaupt nicht mehr. Mittlerweile verbringe ich die meiste Zeit in meiner Wohnung. Wenn ich vor die Tür gehe, dann nur, um den Müll hinunterzubringen. Ich will nicht angeben, aber ich glaube, es gibt keinen Deutschen unter vierzig, der in den letzten zwanzig Jahren weniger Menschen getroffen hat als ich. Manchmal nenne ich mich selbst liebevoll Kaspar Hauser light.
    Aber sogar jemand wie ich kann den Kontakt zu anderen Menschen nicht komplett vermeiden. Es kommt sogar vor, dass ich berührt werde. Um das klarzustellen: Ich habe nichts gegen Berührungen – solange sie nur früh genug angekündigt werden und ich mich dementsprechend auf sie einstellen kann. Eine halbe Stunde vorher ist optimal. Und dann alle fünf Minuten eine Erinnerung. Sonst vergesse ich es am Ende wieder. Man hat ja heutzutage so viel um die Ohren.
    »Herr Fitz, ich werde Ihnen in dreißig Minuten über die Wange streicheln.«
    »Herr Fitz, Sie erinnern sich, dass ich Ihnen in fünfundzwanzig Minuten über die Wange streicheln werde?«
    »Herr Fitz, Sie erinnern sich, dass ich Ihnen in zwanzig Minuten über die Wange streicheln werde?«
    Und so weiter.
    Fünf Minuten vor der Berührung bitte ich den potentiellen Anfasser, in einen minütlichen Erinnerungstakt zu wechseln. Und eine Minute vorher schließlich zu einem klassischen Countdown. Nun bitte im Sekundentakt von 60 auf 0 herunterzählen. Dann bin ich ready for Berührung, wie der Engländer sagt.
    Für jemanden, der mich wirklich anfassen möchte, sollten dreißig Minuten Vorlaufzeit auch nicht zu viel verlangt sein. Wenn es der Person wirklich ein Herzensbedürfnis ist und nicht nur eine bedeutungslos dahingehuschte Oberflächlichkeit, kann ich doch erwarten, dass sie eine halbe Stunde ihrer Zeit erübrigt. Schließlich bin ich ja nicht derjenige, der hier jemanden anfassen möchte. Von mir aus können wir das mit der Berührung auch lassen.
    Zugegeben, es gab Zeiten, da habe ich es mit den Berührungen lockerer genommen. Da habe auch ich mich nach Körperkontakt gesehnt und meinen Kopf in einer Warteschlange schon einmal schnurrend an die Schulter oder die Wange des Kunden vor mir gelehnt. Aber man verändert sich im Laufe seines Lebens. Heute brauche ich das nicht mehr. Außerdem: Um »nur mal eben so« angefasst zu werden, empfinde ich bei einer Berührung einfach zu viel. Selbst der kürzeste Körperkontakt löst ein Feuerwerk an Emotionen in mir aus. Dem hat der Berührende Rechnung zu tragen, indem er mir meine 30 Minuten Vorlauf gewährt.
    Nun leben wir leider in schnelllebigen Zeiten. Nicht jeder ist bereit, eine halbe Stunde seiner Zeit für eine kurze Berührung zu opfern. Gerade wenn er einem lediglich die Hand schütteln möchte. Sonderlich verlockend ist es ohnehin nicht, mich anzufassen. So selbstkritisch bin ich. Ich kann verstehen, wenn der eine oder andere sagt: »Dreißig Minuten, bevor ich Ihnen Guten Tag sagen darf? Nein, danke. Dann haben Sie eben keinen guten Tag.«
    Natürlich kommt es immer mal wieder vor, dass ein nichtsahnender Mensch Anstalten macht, mich kurz zu berühren. Weil er nichts von meiner speziellen touching policy weiß. Wenn ich das früh genug bemerke, ducke ich mich blitzschnell weg. Wie oft haben alte Damen, die mal eben meine Wange streicheln wollten, ins Leere gefasst. Das ist interessant: Besonders alte Menschen gehen über

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