Entschuldigen Sie Meine Stoerung
meine Bitte »Berühren Sie mich bitte erst in 30 Minuten. Aaab … jetzt« einfach hinweg. Ich kann es sogar verstehen: Vielleicht haben Sie Angst, in den dreißig Minuten zu sterben. Und dann haben Sie mich vorher nicht mehr gestreichelt.
Die halbe Stunde Gewöhnungszeit dient nicht nur meinem Wohl. Auch der Berührende selbst hat etwas davon. Denn werde ich überraschend berührt, zucke ich zusammen, als sei mir gerade eine Pershing in den Schritt gefahren. Damit kann nicht jeder umgehen, und viele empfinden es als Abwertung ihrer Person. Außerdem verliebe ich mich augenblicklich in jede Person, die mich berührt. Nur ein kurzer Körperkontakt, und mein Herz entbrennt in Leidenschaft. Das war schon immer so. Auch bei Bewerbungsgesprächen. Mein potenzieller Arbeitgeber gibt mir die Hand – und prompt blicke ich ihm verliebt in die Augen. Den Rest des Gesprächs können wir vergessen: Ich verschütte Kaffee, stottere und kichere albern. Verliebte verhalten sich nun einmal bescheuert. In meinem Fall so bescheuert, dass ich auf diese Art nie im Leben einen Job finden werde.
Haushaltshandschuhe sind eine Lösung. Sie schützen mich vor der direkten Berührung mit menschlicher Haut. Ich trage sie sogar beim Duschen, denn ich fasse auch mich selbst sehr ungern an. Beim Einseifen lässt es sich eben nur nicht immer vermeiden. Natürlich könnte ich das Duschgel auf dem Badezimmerboden ausgießen und mich darin wälzen. Dann wäre Einschäumen auch ohne Hände möglich. Allerdings … obwohl, warum eigentlich nicht?
Aber geben Sie einem Personalchef mal Ihre behaushaltshandschuhte Hand. Der stellt Sie erst recht nicht ein. Auch wenn Sie den Rest des Gesprächs über einen professionellen Eindruck machen.
Im Sommer in der U-Bahn ist besondere Vorsicht geboten. Wie leicht stößt man mit seinem nackten Knie (ich trage nun mal gern Shorts) gegen ein anderes nacktes Knie. Daher weise ich die anderen Fahrgäste schon beim Einsteigen darauf hin: »Bitte berühren Sie mich nicht. Sonst verliebe ich mich in Sie.« Hilft. Die meisten Passagiere achten peinlich genau darauf, jeglichen Kontakt mit mir zu vermeiden. Steigt jemand zu, vergesse ich allerdings schon einmal, ihn zu warnen.
»Hupps! Entschuldigung.«
»Ach, Scheißdreck. Jetzt habe ich mich in Sie verliebt. Können Sie nicht aufpassen?«
Am einfachsten ist für mich noch der Umgang mit Prostituierten. Die verhalten sich mir gegenüber vorbildlich, das muss ich schon sagen. Bei denen kann ich so gestört sein, wie ich möchte. Sie lassen mir das durchgehen. Keine, die mir nicht klaglos meine dreißig Minuten Vorlaufzeit gewährt. Ich bezahle ihnen den Zeitaufwand allerdings auch gut. Natürlich wäre es angenehm, wenn eine der Lebedamen einmal zu mir sagte: »Fitzi (Anmerkung: Ich lasse mich von Prostituierten immer Fitzi nennen, das macht mich geil, aber vielleicht führt diese Info hier auch etwas zu weit), die dreißig Minuten Vorlauf sind kostenlos. Erst ab der ersten Berührung wird berechnet. Ich habe Verständnis dafür, dass du Berührungsphobiker bist.« Das hat aber bisher noch keine über sich gebracht. Obwohl ich immer wieder durchscheinen lasse, wie sehr mich das freuen würde. Entweder erweisen die Damen nur ungern Gefallen, oder sie tun nur so locker und sind tief im Herzen alle Buchhalterinnen.
Obwohl ich jede Minute brav bezahle, sage ich am Ende artig »Danke für Ihr Verständnis, liebe Frau Prostituierte.« Ich versuche allerdings, mich nicht vor Dankbarkeit zu überschlagen. Das ist ungewöhnlich für mich, denn meistens übertreibe ich es damit. Mein Gott, neige ich mitunter zu exzessiven Dankeschöns. Habe ich erst einmal begonnen, bin ich nicht mehr aufzuhalten. Dann kann ich nicht mehr anders. Mein Dank ist eine Lawine, wird mächtiger und mächtiger und mächtiger. Und peinlicher, peinlicher, peinlicher, das auch. Für mich, aber vor allem für andere. Sogar bei Selbstverständlichkeiten steigere ich mich in eine Dankesekstase.
Exkurs: Vielleicht wissen das manche von Ihnen, liebe Leser, noch nicht, aber es gibt auf der ganzen Welt nur ein gewisses Quantum an Dankbarkeit. Der eine hat mehr davon, der andere weniger. Danken kann man nicht lernen. Danken hat man. Das ist ein Rohstoff. Im Menschen. Wenn Sie das nächste Mal jemanden als undankbar empfinden, machen Sie sich klar: Er ist nicht undankbar. Nur habe ich sein Quantum Dank abbekommen. Sollten Sie das Gefühl haben, dass zum Beispiel Ihr Chef oder Ihr Partner ruhig etwas dankbarer
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