ENTSEELT
stammen von der Samothraki . Und dann ist da noch etwas: Ein Mädchen, eine junge Prostituierte, ist vor drei oder vier Nächten tot auf der Straße aufgefunden worden. Man hat sie untersucht. Dem Arzt zufolge kann sie an allem Möglichen gestorben sein: Am Nichtessen, wie sagt man, Unterernährung?, oder vielleicht ist sie auch ohnmächtig geworden und hat die ganze Nacht am Straßenrand gelegen und ist dort erfroren. Aber die wahrscheinlichste Todesursache ist Anämie. Pah! Wisst ihr, was das heißt? Blutarmut! Kein Blut im Körper? So kann man es natürlich auch formulieren.«
»Das breitet sich aus wie eine Seuche«, stöhnte Harry. »Sie muss auch verbrannt werden.«
»Das wird sie«, versprach Manolis. »Noch heute. Verlasst euch darauf, ich sorge dafür.«
»Aber deswegen wissen wir immer noch nicht, wer dieser Vampir ist oder was er mit Ken gemacht hat«, überlegte Sandra. »Und ich würde auch ganz gern wissen, wie die Fledermäuse hier hereingekommen sind ...«
Harry deutete auf einen Kachelofen, dessen Ofenrohr in der Wand verschwand. »Wenigstens dieses Phänomen ist einfach zu erklären. Und Layard ist jetzt von diesem Ding versklavt und wird ihm – je nachdem, wie stark sein Wille ist – mehr oder weniger treu dienen. Und die Identität des Vampirs? Da gibt es eine Spur, der ich nachgehen werde. Ich glaube, ich kenne jemanden, der die Antwort weiß.«
»Was für eine Spur?« Manolis sah ihn scharf an. »Wenn es eine Spur gibt, wenn es irgendwelche Spuren gibt, dann muss ich das wissen. Keine Geheimnisse mehr. Außerdem will ich etwas über das Wort wissen, das die Fledermäuse an die Wand geschrieben haben. Was hat das zu bedeuten?«
»Das ist meine Spur«, sagte Harry. »Faethor hat es so eingefädelt, dass ich ihn nicht missverstehen kann. Er will, dass ich zu ihm komme.«
Skeptisch blickte Manolis jedem der Reihe nach ins Gesicht. »Dieser Faethor, der solche Sachen einfädelt, und auf diese Weise zu ... Er ist was?«
»Keine Geheimnisse mehr?« Harry lächelte schief. »Manolis, selbst wenn wir den ganzen Tag Zeit hätten, wäre es trotzdem nicht genug, um dir alles zu erzählen. Und selbst wenn wir das täten, würdest du es wahrscheinlich nicht glauben.«
»Versucht es doch einfach!«, erwiderte der Polizist. »Aber im Auto. Zieht euch erst einmal an, dann fahren wir frühstücken und dann auf die Polizeiwache in der Stadt. Ich glaube, da sind wir am sichersten. Und währenddessen erzählt ihr mir alles.«
»Ja okay, das machen wir«, akzeptierte Darcy. »Aber wir müssen mit diesem Ding auf unsere Art verfahren können. Keine Einmischung der Behörden. Und Manolis, diese Sache muss unter uns bleiben.«
»Wie ihr meint. Ich helfe euch, wie ich nur kann. Ihr seid die Profis. Aber bitte, wir trödeln herum! Die Zeit drängt!«
So schnell sie konnten, kleideten sie sich an.
Am späten Vormittag hatten sie sich auf eine Vorgehensweise geeinigt, und gegen Mittag hatte Manolis Papastamos alles in die Wege geleitet. Wenn er wusste, was zu tun war, dann erledigte er das auch.
Harry Keogh war jetzt der stolze Besitzer eines sichtlich abgegriffenen und oft benutzten griechischen Passes mit einem rumänischen Visum. Angeblich befasste sich der Besitzer des Passes mit dem Im- und Export von Antiquitäten – eine Tarnung, die Harry zu einem mokanten Lächeln veranlasste. Der Pass lautete auf ›Hari Kiokis‹. Diesen Namen sollte sich Harry leicht merken können. Für Sandra war ein Flug um 21:10 Uhr nach Gatwick gebucht. Darcy würde zurückbleiben und mit Manolis zusammenarbeiten. Das E-Dezernat war weitestgehend ins Bild gesetzt worden, aber bisher hatte Darcy darauf verzichtet, weitere ESPer zur Unterstützung anzufordern. Zuerst musste er sich über das Ausmaß des Problems klar werden, später konnte er immer noch über Sandra Hilfe anfordern, falls das nötig und angeraten war.
Harrys Flug nach Bukarest mit einem Zwischenstopp in Athen ging um 14:30 Uhr, was ihnen eine Stunde Zeit gab, um auf dem Balkon einer Taverne mit Ausblick auf den Hafen von Mandraki ihr Mittagessen einzunehmen. Und dort wurden sie von einem der örtlichen Polizisten aufgespürt, der auf der Suche nach Papastamos war.
Der Mann war fett und schwitzte stark. Mit seinen Pockennarben und den Säbelbeinen hätte er ein Straßenräuber sein müssen, wenn er nicht Polizist geworden wäre. Er tauchte unter ihrer Veranda auf einem winzigen Moped auf, das von seinem ausladenden Hinterteil fast völlig verdeckt wurde.
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