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ENTSEELT

ENTSEELT

Titel: ENTSEELT Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Lumley
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wie Harry Keogh.
    Am Fuß des Hügels gab es eine T-Kreuzung, an der eine drittklassige Straße oder eher ein halbwegs befestigter Pfad nach Norden durch dichte Wälder führte. Und etwas über einen Kilometer weit weg auf der anderen Seite des Waldes ... das musste Gyula ein. Harry sah dunstigen blauen Rauch, der in der Nähe aus den Schornsteinen quoll, und die leuchtenden Kuppeln von Gebäuden, die vielleicht Kirchen waren. Der Ort sah sehr verschlafen aus und passte hervorragend in seine Pläne.
    Aber als er am Fuß der Anhöhe angekommen war und sich nach links in die Wälder wandte, da hörte er wieder dieses seltsam vertraute Klingeln und sah im Schatten der Bäume die Pferdewagen, die am Morgen unter seinem Fenster vorbeigekommen waren. Sie waren noch nicht lange dort, und die Zigeuner waren noch damit beschäftigt, ihr Lager aufzuschlagen. Einer der Männer, mit schwarzen Stiefeln, Lederhosen, einem Rüschenhemd und einem schwarz gefleckten Stirnband, das seine langen, glänzend schwarzen Haare bändigen musste, hockte auf einem windschiefen Zaun und kaute auf einem Grashalm. Er lächelte und nickte, als Harry an ihm vorbeikam.
    »Holla, Fremder! Du wanderst allein. Warum setzt du dich nicht einen Augenblick und nimmst einen Schluck, um den Staub aus deiner Kehle zu spülen?« Er hielt ihm eine schlanke, lange Flasche Slibowitz entgegen. »Die Slivas waren kräftig in dem Jahr, in dem der hier gebrannt wurde.«
    Harry wollte schon den Kopf schütteln, überlegte es sich dann aber anders. Warum nicht? Er konnte seine Karte genauso gut unter einem Baum studieren wie in einer Pension. Und dabei würde er sogar weniger Aufmerksamkeit auf sich ziehen. »Das ist sehr nett von dir«, antwortete er, und setzte dann sofort hinzu: »Aber du sprichst ja meine Sprache!«
    Der andere grinste: »Viele Sprachen. Etwas von fast allen. Wir sind fahrendes Volk, was erwartest du?«
    Harry begleitete ihn ins Lager. »Woher wusstest du, dass ich Engländer bin?«
    »Weil du kein Ungar bist! Und weil hier kaum noch Deutsche hinkommen. Und wenn du Franzose wärst, dann wärst du zu zweit oder zu dritt, in kurzen Hosen und auf Fahrrädern. Na ja, ich wusste es eigentlich nicht. Und wenn du nicht geantwortet hättest, dann wüsste ich es immer noch nicht, wenigstens nicht sicher! Aber ... du siehst wie ein Engländer aus.«
    Harry sah sich die Wagen an mit ihren verschnörkelten, seltsam geschwungenen Symbolen, den bemalten und verzierten Holzschnitzereien. Die verschiedenen Siegel waren so stilisiert, dass sie ineinander zu verlaufen schienen und mit dem übrigen Dekor verschmolzen, als wären sie mit Absicht in dem allgemeinen Schmuck versteckt worden. Und als er dann genauer hinsah – wobei er aber stets die Haltung des beiläufigen Betrachters beibehielt –, erkannte er, dass er sich nicht geirrt hatte und die Wappen absichtlich verschleiert wurden.
    Sein Interesse konzentrierte sich dabei auf den Leichenwagen, der ein wenig abgesondert von den anderen stand. Zwei Frauen in Trauerkleidung saßen nebeneinander auf den Stufen, die Köpfe auf den Busen gebettet, die Arme schlaff an den Seiten herabhängend. »Ein toter König«, sagte Harry. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sein neuer Freund zusammenzuckte. Die Dinge begannen sich in seinem Kopf zusammenzufügen, wie die Teile eines Puzzles, die allmählich ein Bild enthüllten.
    »Woher hast du das gewusst?«
    Harry zuckte mit den Achseln. »Unter all den Blumen und dem Knoblauch steckt ein guter, reicher Wagen, der einem Zigeunerkönig zur Ehre gereicht. Er befördert seinen Sarg, oder?«
    »Zwei Särge«, sagte der andere und betrachtete Harry jetzt ein wenig misstrauischer.
    »Ja?«
    »Der andere ist für seine Frau. Das ist die Dünne da auf den Stufen. Ihr Herz ist gebrochen. Sie meint, sie werde ihn nicht lange überleben.«
    Sie setzten sich auf die knorrigen Wurzeln eines gewaltigen Baumes, und Harry packte seine Wegzehrung aus. Er hatte zwar keinen Hunger, aber er wollte sie seinem neuen Freund als Gegengabe für den guten Pflaumenschnaps anbieten. »Wo wollt ihr sie beerdigen?«, fragte er schließlich.
    Der andere nickte ohne zu Zögern gen Osten, aber Harry spürte, wie er von den dunklen Augen gemustert wurde. »Da, unter den Bergen.«
    »Ich habe gesehen, dass ihr da über die Grenze müsst. Wird man euch durchlassen?«
    Der Zigeuner lächelte, wobei sich seine gebräunte Haut in Falten legte und ein Goldzahn in der Sonne aufblitzte. »Das hier war schon unser

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