Entsetzliches Gleichmaß
wunderschön!«
»Ja, nicht wahr?« Mit verspieltem Grinsen drehte sich Kaleen einmal um, damit Iliana sie von allen Seiten bewundern konnte. Einzelne Partien ihres Kleides schienen sich um sie herum zu wickeln und wurden erst danach wieder zu normal wirkendem Stoff. »Holographische Dioden«, erklärte Kaleen. »Sie sind in das Kleid hineingewebt. Ich wollte eigentlich nicht so viel ausgeben, doch dein Vater hat mich überzeugt, es zu kaufen. Es ist wichtig, dass wir alle heute Abend einen guten Eindruck machen.«
Tötet mich. Jetzt!
»Muss ich wirklich mitgehen?« Sie bedauerte die Frage schon, bevor sie ganz ausgesprochen war.
Kaleens Lächeln verschwand. »Bitte lass uns diese Unterhaltung nicht schon wieder führen. Dein Vater ist das neueste Mitglied des Zentralkommandos. Das ist keine Kleinigkeit. Ich bin ihm verpflichtet und du uns beiden, seinen Kollegen zu zeigen, was für eine liebende Familie wir sind. Insbesondere, da es dort so viele mächtige Männer und Frauen geben wird, die uns als potenzielle Verbündete betrachten werden. Oder als Gegner.«
»Mich nicht.« Schmollend sah Iliana aus dem Fenster. Jenseits der hohen Grundstücksmauern wurde der Himmel langsam purpurfarben, die Nacht brach herein.
»Oh doch, auch dich«, entgegnete Kaleen. Sie ergriff Ilianas Kinn und zwang ihre Tochter, ihr gut zuzuhören. »Sei dir dessen gewiss, junge Dame. Ob du es nun glaubst oder nicht: Deine Anwesenheit ist ebenfalls von Bedeutung. Dein Benehmen wird kommunizieren, wie wir dich erzogen haben. Es wird für Spekulationen herangezogen werden, wie dein Vater mit Cardassia umzugehen beabsichtigt. Das ist mindestens genauso wichtig, wie alles, was er bisher in seiner Karriere geleistet hat.« Kaleen ließ ihr Kinn los und begann, an ihrem Kleid herumzuzupfen. »Ich weiß, wie du über das Militär denkst, aber es geht heute nicht um dich. Der Stern deines Vaters steigt endlich höher, und es ist wichtig, dass wir ihn durch nichts in Verlegenheit bringen.«
Ein böses Lächeln umspielte Ilianas Mundwinkel. »Eine radikal gesinnte Unruhestifterin als Tochter zu haben, könnte sich vermutlich negativ auf sein öffentliches Image auswirken.«
»Radikalität ist ein verzeihliches Übel«, räumte Kaleen ein. »Insbesondere bei einer Künstlerin. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Du bist kein Kind mehr, sondern eine junge Frau. Es wird Zeit, dass du deine Pflichten ernst nimmst. Verstehst du mich, Iliana?«
»Ja, Mutter.« Doch einmal mehr konnte sie sich einen Kommentar nicht verkneifen: »Gehe ich recht darin, dass auch deine Karriere von Vaters Beförderung profitiert?«
»Vielleicht indirekt«, antwortete Kaleen sachlich und ignorierte die Provokation. Sie nahm den Farbpinsel und fuhr damit sanft über Ilianas Halswülste. »Ehrlich gesagt, bin ich als Universitätsinquisitorin sehr zufrieden. Auf diesem Posten kann ich unserem Land am besten dienen. Was ich noch an Ambitionen habe, beschränkt sich darauf, meinen Gatten in seinem neuen Amt zu unterstützen und meiner Tochter eine Zukunft zu sichern. So. Sieh dich mal an.«
Iliana seufzte innerlich und wandte sich erneut zum Spiegel um. Sie wusste genau, worauf ihre Mutter da anspielte. Die Sätze hätten eins zu eins aus
Das ewige Opfer
stammen können – einem entsetzlich öden Buch, das Iliana trotz seines Klassikerstatus nie fertig gelesen hatte. Alle respektablen Cardassianer widmeten ihr Leben dem selbstlosen Dienst am Staat. Von Kindern der regierenden Elite erwartete man, Karrieren in Führungspositionen anzustreben – auch wenn sie lieber andere Interessen verfolgt hätten. Iliana war vor einigen Jahren nur knapp – und dank ihrer verzweifelten Bitten, sich ihrer Kunst widmen zu dürfen – davon verschont geblieben, an eines der Regimentsinstitute gehen zu müssen, die die privilegierte Jugend auf derlei Aufgaben vorbereiteten. Aber die Geduld ihrer Eltern hatte Grenzen, das wusste sie. Längst über das Alter der Entwicklung hinaus, galt sie inzwischen als Erwachsene. Man erwartete von ihr, einen Karriereweg einzuschlagen, der ihrer Familie zur Ehre gereichte. Cardassia mochte seine Künstler nur, solange diese der Politik nach dem Mund redeten.
Trotz dieses Erwartungsdrucks klammerte sich Iliana an eine stetig schwindende Hoffnung. Sie wollte nach Norden ziehen, in die Siedlung Pra Menkar, und dort zur Schule gehen. Pra Menkar war eine entlegene Akademikerenklave, fernab von der alles durchdringenden Konventionstreue der großen Städte.
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