Entsetzliches Gleichmaß
kreisrunden Stamm. Iliana hatte das Kunstwerk begonnen, ohne ein klares Ziel vor Augen zu haben. Sie wusste nur, dass es abstrakt und eine Würdigung ihres Vaters werden sollte. Doch als sie den
Taspar
-Knochen dann bearbeitete, nahmen die Flügel und das, wofür sie standen, allmählich Form an. Iliana hoffte und glaubte, sie waren dem wichtigsten Mann in ihrem Leben angemessen, der sich heute Abend ins Zentralkomitee aufmachte. »Es heißt
Aufstieg
«, erklärte sie ihm.
Tekeny schwieg zunächst. Als er seine Stimme endlich wiederfand, war sie brüchig. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es … Es ist wunderschön. Wirklich, Iliana. Danke schön. Kaleen, hast du das schon gesehen? Ihr Auge fürs Detail ist wirklich außergewöhnlich.«
Ilianas Mutter trat lächelnd zu ihnen. Tekeny reichte ihr die Schnitzerei, und sie betrachtete sie nahezu ehrfurchtsvoll. »Es ist hübsch«, kommentierte sie dann und blickte ihren Gatten an. »Mir scheint, du hattest zur Abwechslung mal recht«, neckte sie ihn. Tekeny nickte lachend.
Iliana sah von einem zur anderen. »Recht womit?«
Tekeny atmete tief aus. »Ich schätze, es gibt keinen besseren Zeitpunkt, es dir zu sagen. Deine Mutter und ich haben uns unterhalten … und wir finden beide, dass Cardassia zurzeit vielleicht größeren Bedarf an einer Künstlerin als an einer weiteren Juristin oder Soldatin hat.«
Iliana blinzelte, sie traute ihren Ohren kaum. »Soll das heißen, ich darf nach Pra Menkar?«
Kaleen legte ihrer Tochter eine Hand auf die nackte Schulter. »Wenn du das wirklich möchtest, dann … ja.«
»Oh, danke, danke!«, rief Iliana begeistert und schlang die Arme um ihre Eltern. Zu wissen, dass sie sie auf ihrem Weg, auf der Suche nach ihrem Traum unterstützten …
»Ihr werdet stolz auf mich sein«, flüsterte sie. »Das schwöre ich euch.«
Am Tag war die massige kobaltfarbene Pyramide des Staatlichen Museums für Naturgeschichte ein Fixpunkt in der Skyline der Hauptstadt, und ragte prachtvoll aus dem Torr-Sektor in den blauweißen cardassianischen Himmel. Doch erst abends entfaltete sie ihre volle Schönheit. Scheinwerfer, strategisch rings um das Fundament aus verziertem Granit verteilt, betonten Gebäudedetails, die im blendenden Licht der grellen Sonne verloren gingen.
Trotz der Schönheit hätte es Iliana aber vorgezogen, die Tiluvus-Galerie zu besuchen, ein kleines, schmuckloses Gebäude, das inmitten der den Munda’ar-Sektor dominierenden Lagerbauten fast unterging und nur von denen gefunden wurde, die wussten, wo sie es suchen mussten. Die Tiluvus finanzierte sich selbst und steckte stets knietief in Schulden. Obwohl einige der Ilianas Meinung nach talentiertesten und unterschätztesten Künstler der letzten fünfzig Jahre in ihr ausstellten, kannte kaum jemand die Galerie. Das Naturgeschichtliche Museum war im Vergleich schon fast aufdringlich, heischte um die Ehrfurcht seiner Betrachter. Dass es eher Mausoleum denn Museum war, machte es in Ilianas Augen auch nicht besser – im Gegenteil. Das Gebäude bewarb sich als Zentrum für wissenschaftliche und historische Forschung. Für Iliana aber war es ein Monument des Verfalls.
Entsprechend unwohl fühlte sie sich, als sie ihren Eltern die große Treppe vor dem Gebäude hinauf folgte. Ein Strom aus glänzenden Uniformen und formeller Zivilkleidung schob sich bereits durch die hohen Eingangstore, und sie schlossen sich ihm an. Kaum über die Schwelle fand Iliana ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt, ja sogar übertroffen. Die Opulenz des Hauses und die offenkundige Selbstgefälligkeit seiner Gäste waren für sie wie eine Beleidigung. Die majestätische Hauptgalerie des Museums – deren Gewölbedecke mit den Sternbildern von Cardassias südlicher Hemisphäre bemalt war – quoll fast über vor Partygästen. Der blaue Marmorboden war kaum noch zu erkennen. Seite an Seite mit den rekonstruierten Skeletten gigantischer, längst ausgestorbener Tiere tranken Cardassias obere Zehntausend den
Kanar
aus Kristallgläsern und labten sich an Speisen aus der gesamten Union, die ihnen auf Tabletts aus goldgepresstem Latinum, die über den ganzen Raum verteilt auf Ständern ruhten, angeboten wurden. Ein Muschelbläser-Quartett spielte in einer Ecke der Galerie klassische Musik, was dem Empfang tatsächlich einen recht überzeugenden Hauch von Kunst verlieh, aber Iliana ließ sich davon nicht einlullen. Für die meisten Anwesenden waren Abende wie dieser Schlachtfelder, auf denen der Krieg ums
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