Entsetzliches Gleichmaß
euch für mich geschämt.«
Kaleen kniete vor ihr nieder. »Alle Eltern schämen sich für die jugendlichen Fehltritte ihrer Kinder. Deine Leidenschaft, deine Freude an deinen Talenten … Dafür haben wir uns nie geschämt. Sie waren unser größter Stolz.«
»Aber ich bin nicht mehr die Person von damals«, betonte Iliana. »Warum kannst du nicht
jetzt
stolz auf mich sein?«
»Weil du zu viel geopfert hast! Und was noch schlimmer ist: Du weißt gar nicht, was du alles verloren hast.«
»Ich weiß sehr genau, was ich verloren habe.«
»Nein, Iliana, weißt du nicht.« Kaleen schluckte. »Was Ataan widerfuhr, war tragisch und du hättest nichts dagegen unternehmen können. Doch was danach geschah, war allein deine Entscheidung. Du selbst hast willentlich alles aufgegeben, was dir plötzlich wie eine Schwäche vorkam. Mir graut es vor dem Tag – und er wird kommen –, an dem du endlich begreifst, dass die Aspekte deiner Persönlichkeit, die du aufgegeben hast, stärker waren als die, die dir geblieben sind …«
Iliana blinzelte. »Was hast du gerade gesagt?«, flüsterte sie.
Kaleen schüttelte den Kopf. Ihre Trauer hatte sie vollends übermannt. Sie stellte die Knochenschnitzerei neben
Das ewige Opfer
und stand auf. Bevor sie ging, strich sie ihrer Tochter noch sanft übers Kinn. »Ich habe alles gesagt, was ich konnte, Iliana. Du musst auch dieses Mal deinem Herzen folgen. Ich hoffe nur, dass du eines Tages zu dir selbst zurückfinden wirst.«
Nachdem ihre Mutter gegangen war, fand Iliana keine Ruhe mehr. Rastlos lief sie auf und ab. Buch und Tee hatte sie längst vergessen. Die Techniken, die Entek ihr beigebracht hatte, um Herzschlag und Atmung zu stabilisieren, funktionierten nicht, und wann immer ihr Blick auf die Schnitzerei fiel, wuchs ihre Anspannung nur noch mehr. Irgendwann half nur noch die Flucht.
Iliana stürmte aus der Westtür des Hauses. Sie wollte im Garten Vergessen finden. Das Licht des späten Nachmittages empfing sie. Ob sie eine ruhige Stelle an der nördlichen Mauer des Geländes fand, wo sie meditieren konnte?
»Sei nicht zu wütend auf deine Mutter«, hörte sie ihren Vater sagen. Tekeny saß auf den Stufen der steinernen Terrasse, ein Glas
Kanar
in den Händen. »Es ist hart für sie. Ehrlich gesagt, fällt es mir ebenfalls nicht allzu leicht.«
Iliana seufzte und setzte sich neben ihn. »Genau das begreife ich nicht. Ich dachte, dies sei der Weg, den ihr euch immer für mich gewünscht habt – dass ich meine Verpflichtungen gegenüber dem Staat ernst nehme.«
Tekenys Mundwinkel zuckten nach oben. »Ich fürchte, es ist ein wenig komplizierter als das.«
»Aber warum? Wäre ich in deine Fußstapfen getreten, nach Dekaris gegangen und danach an einen riskanten Stützpunkt auf einer anderen Welt versetzt worden, würden wir dieses Gespräch gar nicht erst führen. Das hat sogar Mutter zugegeben. Ich
will
Cardassia dienen, durch den Orden! Ist es nicht scheinheilig von euch, jetzt gegen meine Entscheidung zu argumentieren?«
Tekeny gewährte ihr tatsächlich ein zustimmendes Nicken. »Wie ich sagte: Es ist kompliziert.« Dann sah er auf sein Glas. »Weißt du eigentlich, warum deine Mutter und ich dich nach Pra Menkar gehen ließen?«
Iliana hob die Schultern. »Weil ich euch endlich weichgekocht hatte?«
Tekeny lächelte. »Nein. Ich meine den zweiten Grund.«
Iliana schüttelte den Kopf.
»Weil wir endlich deiner Meinung waren. Wir hatten begriffen, dass man unserer Welt auch dienen kann, ohne sich selbst zu verlieren.«
»Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass ich mich im Orden
gefunden
haben könnte?«
Eine Weile lang sagte Tekeny nichts. Iliana fürchtete schon, auch er sei zu enttäuscht von ihr, um noch mit ihr zu sprechen. »Darf ich dich etwas fragen?«, begann er schließlich.
Aus irgendeinem Grund trieb ihr seine schlichte, in sanftem Ton vorgebrachte Frage die Tränen in die Augen. Iliana schluckte sie sofort herunter. »Was immer du willst. Das weißt du.«
»Willst du das wirklich tun?«
»Ich muss es tun.«
»Aber ist es auch, was du willst?«
Iliana senkte den Blick. »Was ich möchte, hat keine Bedeutung. Ich habe eine
Pflicht
. Das muss ich einem Mitglied des Zentralkommandos ja wohl nicht erklären.«
Tekeny lachte leise. »Oh, ich weiß, was Pflicht bedeutet. Ich weiß es schon mein ganzes Leben lang. Aber je älter ich werde, desto mehr lerne ich, dass es Pflichten gibt, die nicht notwendigerweise der Definition des Obsidianischen Ordens
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