Entsorgt: Thriller (German Edition)
geht. Gib, dass sie leben.
Sie kann nicht verstehen, warum ihre Eltern ihr auf einmal etwas bedeuten. Im Augenblick scheinen sie ihr das Wertvollste zu sein, das sie besitzt. Als sie begreift, was für eine dumme, verblendete Göre sie gewesen ist, beginnt sie zu heulen. Das hat sie nicht gewollt. Sie hat nicht gewollt, dass ihnen wehgetan wird, damit sie sich endlich eingestehen kann, sie zu lieben. Durch den dichter werdenden Schleier ihres eigenen Schmerzes beschließt sie, eine bessere, eine liebevollere Tochter zu sein.
O Gott, bitte lass nicht zu, dass sie tot sind. Bitte, bitte, nicht.
Warte, Aggie. Denk nach. Sei nicht dumm. Leute werden aus Autos geschnitten, weil sie noch leben.
Ja. Ja. Sie leben noch. Sie leben beide.
Sie versucht zu rufen, aber hat nicht genug Luft in der Lunge. Es fühlt sich an, als hätte ihr jemand einen bleiernen Fußball geradewegs durch die Eingeweide getreten. Keine Luft mehr. Die Welt schrumpft wieder.
Da fällt ihr auf, dass sie sich nicht mehr im Auto befindet. Auf dem Rücken. Im Gras. Teilnahmsloser Himmel, weit über ihr. Das Blickfeld verengt sich, als sie erstickt.
Plötzlich löst sich etwas in ihrem Inneren, und sie japst nach Luft.
Es schmerzt schrecklich, aber der Himmel wird wieder weiter.
Sie liegt nicht im Sterben.
»Mum?«
Bloß ein Flüstern.
»Dad?«
Der Trennschleifer hört auf zu heulen. Metall wird auseinandergerissen.
Die Feuerwehrmänner befreien ihre Eltern aus dem Wrack. Die werden ihnen helfen.
Sie dreht ihren Kopf in Richtung der Geräusche. Ein flüchtiger Blick auf sie wird ihr die Kraft geben, durchzuhalten, bis die Sanitäter sich auch um sie kümmern können. Er würde sie den Schmerz durchstehen lassen. Der Anblick ihrer Eltern würde ihr die nötige Kraft verleihen.
Sie sieht keine Einsatzkräfte. Nur zwei Monster, beide etwa halb so groß wie das Auto. Eines über ihren Vater gebeugt. Eines über ihre Mutter. Sie kann nicht sagen, ob ihre Eltern noch leben. Sie liegen bewegungslos da, scheinen aber äußerlich unverletzt. Instinktiv will sie schreien. Doch sie unterdrückt den Schrei.
Werkzeuge und Instrumente fahren aus den abnormen Körpern der Kreaturen. Reproduktionen von Händen – viel zu vielen Händen – arrangieren die Körper mit pedantischer Präzision. Auf ihren Rücken liegend, in Habachtstellung, wie schlafende Wachtposten. Schneller als Aggies Augen folgen können, schlitzen Klingen die Kleidung ihrer Eltern auf, und mechanische Finger fegen sie beiseite. Sie ist beschämt, sie so zu sehen. Dann schämt sie sich für ihre Eltern. Mit der Vorahnung dessen, was als Nächstes geschehen wird, überwältigt sie die Übelkeit. Dies ist der Zeitpunkt, sie entweder zu retten oder davonzulaufen. Sie überprüft die motorischen Fähigkeiten ihres Körpers, bewegt Hände und Füße und zuckt zusammen; alles funktioniert, alles tut weh. Am schlimmsten ist der Schmerz in ihrer Brust und im Solarplexus. Irgendwas da drin hat sich gelöst und verschlungen, reibt sich schmerzend an sich selbst. Als sie sich mit den Armen in Sitzposition hievt, ist der Schmerz so heftig, dass sie sich in ihren eigenen Schoss erbricht. Sie versucht die Krämpfe zu beruhigen, wischt sich den Schleim am Kinn mit den Fingern und diese im Gras ab. Die Monster scheinen sie nicht bemerkt zu haben. Sie sind zu sehr in ihre Arbeit vertieft.
Sie muss ihre Entscheidung treffen und handeln.
Die Kreatur, die ihre Mutter ausweidet, besitzt eine Art Winde. Diese Winde gibt mehrfach pro Sekunde knarrende und klickende Geräusche von sich. Sie spult etwas auf. Einen glitschigen, bluttriefenden, in Blau, Pink und sämtlichen Regenbogenfarben schillernden Strang fahler Pasta. Der Unterleib ihrer Mutter leert sich schnell. Mrs. Smithfield ist jetzt wieder bei Bewusstsein. Geschockt angesichts der ihr zugefügten Gewalt, mit weit aufgerissenen Augen, heftig protestierend, aber noch nicht tot. Die Winde stoppt mit einem letzten Ruck, der Pamela Smithfield ein Stück in die Höhe reißt. Ein Schnitt der Gartenschere, und sie fällt wieder zu Boden, ihr Bauch flacher als der eines Supermodells.
Das Wesen, das sich an ihrem Vater zu schaffen macht, hält seinen Penis und seine Hoden in die Höhe. Die »Hand« verschwindet mit den drei schrumpeligen Hautsäckchen im Körper der Kreatur. Die Entmannung hat ihren Vater aus der Bewusstlosigkeit gerissen, und er schreit, heult lauthals auf. Nein, das ist kein Heulen mehr. Irgendwas Heiseres, Zerrissenes aus seinem tiefsten
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