Entsorgt: Thriller (German Edition)
sauberer geschmeckt. Ihm gefiel die Idee, es würde ihn reinigen.
Er erwachte mit dem ersten Licht und ging schlafen, wenn die Sonne hinter den Hügeln verschwunden war. Da er keine Pflichten zu erfüllen hatte, tat er auch nichts. Er beobachtete lediglich die Tiere und Vögel um ihn herum und ließ seinen Blick zwischen den windschiefen, knorrigen Eichen umherschweifen.
Häufig notierte er seine Gedanken und Beobachtungen in einem zerfledderten Tagebuch. Das war das Einzige, was er als »Aktivität« betrachtete. Der Rest seiner Existenz erschöpfte sich darin, seinen Körper und Geist, gleich einem Zweig, langsam im Fluss der Zeit treiben zu lassen. Aber das Schreiben forderte ihn auf eine bestimmte Art und Weise. Er ließ alles, was ihm durch den Kopf ging, ungefiltert aufs Papier fließen, ohne es jemals zu zensieren. Denn weder war da jemand, der es hätte sehen können, noch verschwendete er so viele Gedanken an die Zukunft, als dass er auf die Idee gekommen wäre, es könnte sich jemand dafür interessieren. Diese Augenblicke des Schreibens waren wie Fugen in der Zeit. Während er auf dem billigen Notizblock, den er im örtlichen Ramschladen gefunden hatte, die Worte miteinander verwebte, konnte er sich im ewigen Abnutzen und Anspitzen des Bleistifts vollständig verlieren.
Seiten später blickte er dann auf, um festzustellen, dass die Lichtverhältnisse sich geändert hatten. Ob nun von Wolken verdeckt oder nicht, häufig war die Sonne weit über den Himmel gewandert. Wenn er dann die Seiten durchblätterte, konnte er sich in der Regel kaum daran erinnern, was er da niedergeschrieben hatte. Er las sein Gekritzel auch nie ein zweites Mal durch. Diese Worte schienen gar nicht die seinen zu sein. Sie flogen ihm zu, als würde eine Stimme zu ihm sprechen. Er begann es als eine Art Berufung zu betrachten. Obwohl er dieser Berufung jeden Tag nachkam, gab er sich alle Mühe zu ignorieren, was die Worte ihm sagten. Er beschränkte sich darauf, über die Menge der Worte zu staunen und darüber, dass seine Berufung jegliche Verbindung zu Zeit und Realität kappte – ganz egal, wie lange er sich ihr hingab.
Die Seiten und das Nichtstun summierten sich zu tröstlichen Strömen. Er schaute den Tieren zu. Er schaute den Jahreszeiten zu. Die Reifen des Campingbusses wurden spröde und verloren die Luft.
Es kümmerte ihn nicht.
5
Mason blickte aus seinem Küchenfenster in den Garten hinaus. Bald würde er mit dem Säen und Pflanzen beginnen.
Alles, was er letztes Jahr angebaut hatte, selbst das winterfeste Gemüse, war verbraucht oder eingeweckt. Der Garten mit seinen zahlreichen Beeten war ein graubraunes Flickwerk aus Parzellen umgegrabenen Bodens, wo sich sein Dünger mit dem Erdreich vermischte, und diversen verblichenen Teppichbodenresten, die er ausgelegt hatte, um das Unkraut zu ersticken. Er verspürte ein aufgeregtes Kribbeln im Unterleib und den vagen Drang, seinen Darm zu entleeren.
Es war jedes Jahr dasselbe: Ihn überkam ein geradezu kindlicher Eifer, der Erde dabei zu helfen, ausreichend Nahrung für ihn hervorzubringen. Er kicherte angesichts seiner Überreaktion in sich hinein, empfand aber keinerlei Verlegenheit. Er war eben kein Fotograf mehr, kein furchtloses Künstlergenie, das mit einem einzelnen Schließen seiner Blende ganz London in die Tasche steckte. Er war bloß ein Gärtner. Tatsächlich war er sogar davon überzeugt, die Seele eines Landwirts zu besitzen. Obwohl er noch keiner war, war es sein Plan, dies in Zukunft zu ändern. Ohne fremde Hilfe würde er in der Abgeschiedenheit sein Land bestellen und es damit dem Farmer gleichtun, den er sich zum Vorbild auserkoren hatte.
Sein Aufenthalt in der Vorstadt war nur vorübergehend. Aber er war notwendig. Bevor er sich ganz zurückzog, wollte er der Menschheit eine letzte Chance geben. Er hatte sich verändert. Und deshalb hoffte er, den Menschen, denen er begegnete, neue Seiten abgewinnen zu können und nicht jedes menschliche Wesen auf diesem Planeten überkritisch zu beurteilen. Bisher war seine Einsamkeit hier in der Siedlung allerdings noch umfassender, als sie es auf dem Land des Farmers gewesen war. Diese Zeit, in der er in solcher Verbundenheit mit der Natur gelebt hatte, lag nun bereits Jahre zurück. Er fühlte sich inzwischen fast wieder so festgefahren wie damals in London. Schon bald würde er den Drang verspüren weiterzuziehen.
Bloß ein Jahr noch. Ein weiteres Jahr, das er unter Menschen verbrachte, selbst wenn er sie
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