Entsorgt: Thriller (German Edition)
von seiner Haustür verscheuchte und auf der Straße nicht mit ihnen sprach. Bloß noch ein Jahr in der Zivilisation, bevor er sich einmal mehr in ein Waldwesen verwandelte.
Dann merkte er, dass er den Atem angehalten hatte, während er hinaus in den Garten sah.
Er ließ los.
Er war sich des Problems bewusst. Er konnte es sich sogar eingestehen. Aber er war nicht in der Lage, es zu lösen. In London war er der Überzeugung gewesen, völlig alleine zu sein. Doch die wahre Einsamkeit hatte er im Schatten der Bäume erfahren. Es war kompliziert. Das Leben im Wald war so friedvoll und erholsam für ihn, dass es ihn schmerzte, sich einzugestehen, wie arg ihm die Einsamkeit dort zugesetzt hatte.
So sehr er sich auch nach dem in Wales erfahrenen Frieden sehnte, so hatte er dennoch Panik davor, sich endgültig darauf festzulegen, wieder allein zu leben. Selbst wenn er womöglich niemals glücklicher sein würde.
Schuld daran war natürlich nicht bloß die Isolation. Die völlige Einsamkeit war das Offensichtliche. Das, worüber er mit einem Freund gesprochen hätte, wenn er jemals einen gehabt hätte. Aber da war noch etwas. Das, vor dem er sich tatsächlich in die Vorstadt geflüchtet hatte. Hierher, wo es in der Regel so laut war, dass er es nicht vernahm, obwohl es ständig präsent war. Dabei vermisste er es nicht weniger, als er es fürchtete. Das Land, die Bäume und sämtliche Tiere, mit denen er den Wald geteilt hatte, verfügten über eine Stimme. Eine gemeinsame Stimme, die ihn rief. Und sie sprachen zu ihm, als wäre er ihr engster Vertrauter. Sie sprachen und sie hörten niemals damit auf. Ihr Redefluss füllte seine Notizen. Und selbst jetzt noch, Jahre danach, wagte er es nicht, einen Blick darauf zu werfen, um zu sehen, was sie ihm zu sagen hatten.
Ganz so, als hätte er einen Moment perfekter Stille geschaffen, in dem sich die Stimme endlich bemerkbar machen konnte, so als hätte er geradezu darum gebeten, drang sie augenblicklich durch das weiße Rauschen des Vorstadtgebrabbels:
Du warst und bist ein Feigling.
»Ich bin noch nicht fertig«, erwiderte er, drückte seine Stirn gegen die angenehm kalte Fensterscheibe und starrte in den sich erwartungsfroh vor ihm ausbreitenden Garten hinaus. »Ich habe noch nicht mit den Menschen abgeschlossen, noch nicht.«
Sei tapfer, Mason Brand.
Nur wer furchtlos handelt, handelt wahrhaftig.
Er kniff einen Moment lang fest die Augen zusammen.
Als er sie wieder öffnete, erschreckte ihn das Gesicht so sehr, dass er mit hämmerndem Herzen vom Fenster zurückwich. Als hätte man ihn beim Stehlen ertappt. Ihm blieb keine Zeit, sich von dem Schock zu erholen. Mason stand da, mit hochrotem Gesicht, bebender Brust, und wusste nicht, wo er hinsehen sollte. Hätte er noch bescheuerter aussehen können, mit seinem Kopf gegen die Fensterscheibe gepresst wie ein Anstaltsinsasse? Seine Hilflosigkeit entlud sich in Wut, aber sein Zorn war so gehemmt wie seine Worte. Er war es nicht gewohnt zu sprechen.
»Das hier ist Privatbesitz … ein Privatgrundstück. Das wollte ich sagen. Es ist mein Grundstück, und du hast hier nichts zu suchen.«
»Vielleicht habe ich mich ja in der Hausnummer geirrt. Aber Sie sind doch Mr. Brand, oder etwa nicht?«
Er funkelte das Mädchen an, blickte sich um, sichtlich bemüht, seine Fassung wiederzuerlangen. Das war sein Problem: Er war viel zu sehr in seinen Erinnerungen verhaftet. Zu wenig im Hier und Jetzt .
»Du hast hier hinten nichts verloren. Hättest du nicht an der Haustür klingeln können? Oder klopfen? Wie anständige Leute es tun?«
Es war lächerlich. Mit erhobener Stimme sprachen sie durch die Scheibe, brüllten sich geradezu an. Das Mädchen, eigentlich war sie kein Mädchen, eher ein … sie lächelte ihn an.
»Ach, kommen Sie schon, Mr. Brand. Ich bin nicht hier, um Ihr Gemüse zu klauen. Ich wollte nur kurz mit Ihnen quatschen. Wären Sie bitte so nett, die Tür aufzumachen?«
Jener Teil von Mason, der noch wusste, wie man sich zu benehmen hatte, schrie ihn an, sich gefälligst halbwegs höflich zu verhalten und die Tür zu öffnen, um sie auf einen Tee und ein paar Kekse oder ein Glas Wein – War sie alt genug dafür? Natürlich war sie das – hereinzubitten und gefälligst etwas, irgendetwas zu tun, statt sich wie ein armer Irrer zu verhalten und sie zu vergraulen.
Aber die Hintertür war, trotz ihrer sechs schmutzigen Glasfenster, eine Barriere zwischen ihm und der Welt. Nun war die Welt in seinen Garten
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