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Entsorgt: Thriller (German Edition)

Entsorgt: Thriller (German Edition)

Titel: Entsorgt: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph D'Lacey
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hören. Sie spürt es nur. Spürt tief in ihr drinnen, wie die Pein des Babys ihre Seele massakriert. Sie möchte weinen, kann es aber nicht.
    Das Baby krabbelt weiter. Zurück durch die offene Tür. Zurück in den Korridor, wo es seine blutige Suche fortsetzt.
     
    Sie ist bei dem Baby, oben an der Treppe. Absatz für Absatz und Stockwerk für Stockwerk winden sich die Stufen einen senkrechten Schacht hinab. Sie führen hinunter in die Finsternis. Sie scheinen unendlich zu sein, aber das liegt nur daran, dass sie sich irgendwo ganz tief unten im Dunkel verlieren. Es gibt zwar ein Geländer, doch durch die Streben kann das Baby mit Leichtigkeit hindurchschlüpfen. Es hat jetzt aufgehört zu bluten, aber angesichts der zahllosen Fremdkörper, die immer noch – und vermutlich bis in alle Ewigkeit – seinen kleinen Körper durchbohren, scheint das kaum eine Gnade zu sein.
    Es zögert beim Anblick der ersten Stufe. Das Baby weiß eindeutig nicht, was eine Treppe ist. Ihr fällt auf, dass es nicht mehr so mollig ist wie zuvor. Sie kann seine Rippen sehen, wenn es atmet. Und an den Stellen, wo es von den Messern durchbohrt wurde, entstehen pfeifende Geräusche. Es versucht trotzdem, nach unten zu krabbeln, stürzt vornüber und schlägt sich an der Kante der zweiten Stufe die Nase auf, bevor es Schwung aufnimmt und sich überschlägt. Jeder Aufschlag treibt das Glas und den Stahl tiefer in den Körper des Babys. Am Fuß der ersten Flucht knallt es gegen die Wand, was seinen Sturz zwar verlangsamt, aber nicht verhindert, dass es auch noch die nächste Stiege herabrollt.
    Und die nächste. Und die nächste.
    Das Wesen zwingt sie, ihm zu folgen.
    Hinein in die Dunkelheit, wo sie während ihres eigenen Abstiegs lange Zeit bloß die Vibrationen spürt, wenn Fleisch, Knochen, Metall und Glas auf steinernen Widerstand prallen. Sie ist für kurze Zeit blind, dann beschränkt das Wesen ihre Sicht auf ein körniges Schwarz-Weiß und ausschließlich das, was sich direkt vor ihren Augen befindet. Alles andere ist ein Tunnel aus Finsternis und Schatten.
    Das Baby ist stundenlang gefallen. Es wirkt noch dünner, und jeder einzelne seiner Körperteile ist zerfetzt. Sein Körper scheint wie besessen an den Scherben und Klingen festzuhalten, und seine ehemals engelsgleiche Pummeligkeit ist jetzt gebrochenen Ecken und umgeknickten Kanten gewichen.
    Sie erreichen das Erdgeschoss. Sie ist direkt hinter ihm, immer noch unfähig, das Leiden des Kindes zu beweinen. Sie würde einen Ozean weinen, wenn das Wesen sie ließe, aber das wird es nicht. Das Baby hat nicht mehr viel Fleisch auf den Knochen. Es ist kaum noch mehr als ein kriechender Haufen aus gebrochenen Knochen, die in unmöglichen Winkeln zueinander stehen und zu absurden Formen miteinander verschmolzen sind. Eine Hand besteht bloß noch aus einem Klumpen gesplitterter Rasierklingen. Seine Zehen sind blanke, spitze Knöchelchen. Knochen, die eigentlich Rippen sein sollten, wachsen wie Stacheln aus dem Rücken des Babys. Es hat auch noch sein anderes Auge verloren.
    Blind, zerschmettert und ausgemergelt setzt es seine Suche fort.
     
    Viele, viele Male folgt sie dem Baby auf seiner Reise, vom Licht hinab in die Finsternis.
    Im untersten Stockwerk wirkt alles dreckig, kaputt und verlassen. Als hätte es hier einmal Menschen gegeben. Alles ist zerstört, als wäre hier eine Bombe explodiert. Sie ist wieder zurück, beobachtet das Knochenbaby, das Rasierklingenbaby, beim Krabbeln. Das einzige Geräusch ist das Scharren der Messerspitzen und Knochen über den Beton. Das Baby hat immer noch nicht gefunden, was es sucht.
    Im Traum hat es eine Unterbrechung gegeben, die sich jetzt, wo sie wieder hier ist, anfühlt, als hätte sie eine Dekade gedauert. Das Baby hat das Erdgeschoss erreicht, aber nichts gefunden. Es scheint jetzt noch entschlossener zu suchen.
    Dieses Mal wird es endlich fündig.
    Direkt im Zentrum des untersten Stockwerks befindet sich eine quadratische Öffnung. Eine offene Luke. Sie sieht aus wie eine Art Wartungsschacht. Es gelingt ihr, einen Blick hineinzuwerfen. Er ist tief, zu tief, als dass sie den Boden sehen könnte.
    Tu es nicht. Geh da nicht rein.
    Das Baby klammert sich mit seinen verkrüppelten Rasierklingenhänden am Rand der Lukenöffnung fest und zieht sich vorwärts. Sie fällt ihm direkt hinterher. Im freien Fall erfährt das Baby sein größtes und kurzlebigstes Vergnügen. Die Schwerelosigkeit bedeutet, dass kein Druck auf den Brüchen und Einstichen

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