Entsorgt: Thriller (German Edition)
keine Tabakfirma in die Pleite getrieben zu haben.«
Sie setzte sich zurück auf die Bank und lehnte ihre Krücken wieder dagegen. Er leistete ihr Gesellschaft. Kaum hatten sie Platz genommen, brach erneut Schweigen aus und ließ in ihm den Gedanken aufkommen, sich eventuell am falschen Ort aufzuhalten. Wenn irgendjemand aus der Nachbarschaft ihn sähe, würden sich die Gerüchte wie Bazillen verbreiten. Er zog so heftig an der Zigarette, dass die aufleuchtende Glut zwei Fingerbreit auf den zusammengequetschten Filter zukroch.
Sie schmunzelte.
»Sie scheinen es aber nötig zu haben«, sagte sie. »Vielleicht sollten Sie Ihr Geld gleich an die Tabakmafia abtreten.«
Ihm war bewusst, dass sie versuchte zu scherzen, und es war nett von ihr, sich so leutselig zu verhalten, obwohl seine – falsch: Tammys – Hunde sie eben erst zu Tode geängstigt hatten. Ihm war auch klar, dass sie völlig Recht hatte, was das Rauchen betraf. Ihre einfache Beobachtung führte zu einer ebenso einfachen, aber nichtsdestoweniger beunruhigenden Schlussfolgerung. Kevin Doherty darf nicht er selbst sein. Kevin Doherty tut das, was seine Frau will. Und er tut es um des lieben Friedens willen. Kevin Dohertys Ehe existiert bloß noch unter einem dichten Schleier aus Lügen: zwei unglückliche Menschen, die Haus und Bett miteinander teilen. Alle beide wären sie am liebsten ganz woanders, würden am liebsten andere Dinge mit anderen Menschen machen. Andere Leben leben. Sie selbst sein.
Es war deprimierend, wie offensichtlich das war. Warum hatte er sich das bisher nicht eingestehen können?
Über diese Gedanken hatte er zu rauchen vergessen, und die halbe Zigarette war zu einem grauen Aschestängel herabgebrannt, der abbrach, auf seine blaue Stoffhose fiel und dann auf den sandigen Boden unter der Bank rollte. Er hätte die Asche von der Hose fegen können, ließ es aber bleiben.
»Alles in Ordnung?«, fragte das Mädchen.
»Bestens.« Er nahm einen tiefen Zug. »Ich heiße übrigens Kevin.«
Er steckte den Stummel in den Mund und streckte ihr, blinzelnd vom Qualm, der ihm in die Augen stieg, seine rechte Hand entgegen.
»Ich bin Jenny«, erwiderte sie und ergriff seine Hand.
Augenblicklich entspannte er sich und verspürte eine Art Glücksgefühl angesichts dieser anderen Welt, die da plötzlich außerhalb seiner Ehe existierte. Er nickte in Richtung ihres bandagierten Fußes.
»Wie haben Sie sich den Fuß gebrochen?«
»Ich hatte gehofft, Sie würden nicht danach fragen.«
Mist, dachte er, sollte es mir tatsächlich gelungen sein, noch tiefer in die Scheiße zu greifen, als ich es ohnehin schon getan habe? Aber sie fuhr fort, und dankbar registrierte er, dass sie sich bemühte, ihn vor seiner neu erworbenen Fähigkeit, von einem Fettnapf in den nächsten zu straucheln, zu bewahren.
»Was ich damit sagen will, ist, dass es nicht ganz einfach zu erklären ist. Vielleicht kann ich es Ihnen ein andermal erzählen.«
Ihr Blick traf seinen, und er fühlte sich gleichermaßen beschwingt und entsetzt ob dieses Glücksmoments, der ihn da wie aus dem Nichts umfing. Den er sich so gewünscht hatte. Den er aber nicht haben durfte. Den er verdient hatte?
Er warf die Zigarette weg und trat sie aus.
»Das würde mich freuen.«
Er stand auf und reichte ihr erneut die Hand. Noch so eine unbeholfene, völlig unangebrachte Geste. Sie ergriff sie mit einem Lächeln und einem kaum wahrnehmbaren Kopfschütteln.
»Sind Sie öfter hier«, fragte er, »oder …« Ihm war nicht wirklich klar, worauf er mit seinem angefangenen Satz hinauswollte.
Sie war bereits dabei, ihm ihre Telefonnummer aufzuschreiben.
»Hier«, sagte sie. »Klingeln Sie mal durch.«
»Das werde ich.«
Als er den Pappabriss ihrer Zigarettenpackung entgegennahm, blickte er sich nach etwaigen Augenzeugen oder Beobachtern um. In diesem Augenblick bemerkte er, dass sich drüben am Zaun nichts mehr bewegte.
»Ach du Scheiße. Bitte nicht.«
Die Leinen mit den Halsbändern daran hingen herrenlos am Zaunpfahl. Tammy hatte zu jeder Gelegenheit darauf bestanden, sie nicht zu eng zu schnallen, damit sie den Hunden nicht die Luft abschnürten. Die beiden Rock’n’ Roll-Terrier hatten sich, dankbar für so viel Rücksichtnahme, aus dem Staub gemacht.
11
Das Klischee vom Licht, das man am Ende des Tunnels sieht, war nicht mal eine annähernd zutreffende Beschreibung jener Erfahrung, vom Leben zum Tode aufzusteigen. Und diesem einzigartigen Moment, in welchem sie ihr Seelenheil
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