Entsorgt: Thriller (German Edition)
Opferbereitschaft waren es, die zählten.
Und Vergebung. Es war nicht einfach, sich das immer wieder bewusst zu machen. Wenn Mavis ihnen ihre Taten nicht vergeben konnte, wie sollten dann diese beiden einander vergeben, die so weit abgekommen waren vom christlichen Pfad der Ehe? Sie durfte ihre Entscheidung nicht leichthin fällen und vor allem nicht ohne die Hilfe des Herrn.
Mavis Ahern legte den Packen belastender Amateurfotos beiseite. Sie glitt vom Sofa und kniete sich auf den Teppich. Dort betete, meditierte und flehte sie um den Beistand des Herrn. Sie bat um ein Zeichen, das ihrem Handeln den rechten Kurs weisen würde.
Eine Stunde später, die Knie vom dünnen Teppich wundgescheuert, öffnete sie die Augen und mühte sich wieder auf die Beine. Bevor sie aufgrund der Taubheit und des Kribbelns in ihren Waden die Balance verlor, ließ sie sich in einen Lehnstuhl fallen. Von dort aus überblickte sie ihren Garten, sah die Rosenrabatten und bestaunte, wie wunderschön die Rosen auf ihrem Bett aus Kompost blühten. Sie sah, wie unversöhnlich die Dornen der Rosen waren und wie sie dennoch in gottgegebener Eintracht existierten. Aus Dreck und Schmutz erwuchsen die schönsten und die gefährlichsten Dinge. Die Ehe war wie diese Rosen, nicht wahr? So viel war sicher: Gott wollte nicht, dass sie untätig blieb, und durch die Rosen teilte Er es ihr mit. Sie waren Sein Zeichen.
Eine Krähe flatterte von ihrem Birnbaum herunter. Eine fürs Leid , dachte sie. Was hatte das zu bedeuten? Der alte Abzählreim, wie ging er noch mal weiter? Einen Augenblick später sah sie zwei weitere Krähen, die oben in den Ästen saßen, ihr Gefieder putzten und sich anträllerten: Zwei für die Freud . Eine Dritte kam herabgeflogen und setzte sich auf einen Rosenstrauch. Drei für ein Mägdelein . Sie sah sich aufmerksam um, aber da waren keine weiteren mehr. Und auch keine anderen offensichtlichen Hinweise.
Also dann: Sie würde die Frau zur Rede stellen. Ihr die Fotografien zeigen. Wenn die beiden sie nicht um weiteren Beistand baten, wäre ihr Part damit erledigt, und die jungen Leute würden das Schicksal ihrer Ehe in die eigenen Hände nehmen müssen.
Aus dem Schmutz würde Gutes erwachsen. So lautete die Botschaft des Herrn.
Das mit dem Saufen war einfach. Nicht in der Uni zu erscheinen ebenfalls. Innerhalb eines einzigen Tages war Ray soweit, dass er am liebsten alles stehen und liegen lassen wollte. Inklusive seiner Hochschulausbildung. Dabei war das Semester ziemlich wichtig: Die Examensprüfungen hatte er bereits hinter sich und darin – soweit er das beurteilen konnte – recht gut abgeschnitten. Vor Jennys Unfall waren ihm die Vorlesungen noch wichtig gewesen. Dann hatte er sich bei der Universität von Shreve krankgemeldet und war bis Semesterende nicht mehr dort erschienen. Jetzt waren Semesterferien, traditionell ohnehin eine Zeit, in der er die Nachmittage im Pub totschlug und die Abende damit verbrachte, Gras zu rauchen, DVDs zu schauen und an seiner Konsole Zombie-Apokalypse zu spielen. Und da er sein Leben nicht mehr nach Jenny ausrichten musste, konnte er tun und lassen, was immer er wollte und sich auf das Glastonbury Festival und den Notting Hill Carnival freuen.
Trotzdem hatte er das ungute Gefühl, dass da immer noch einiges ungeklärt war. So war er sich beispielsweise durchaus im Klaren darüber, dass er sich vor allem deshalb die ganze Zeit zudröhnte, weil er sie vermisste. Er hasste sich dafür, so wenig Rückgrat zu haben – schließlich hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als von ihr wegzukommen und sein Leben endlich nach seinen Vorstellungen zu leben. Und dann war da noch dieser Vorfall am Straßenrand.
Darüber zerbrach er sich den Kopf mehr als über alles andere.
Er dachte sogar daran, wenn er dachte, er würde nicht daran denken.
Die beständige Heimsuchung durch diese quälende Erinnerung war es, die ihn zwar nicht bis vor Jennys Tür, aber immerhin zurück auf den Grünstreifen führte, wo es passiert war. Er musste Gewissheit bezüglich dessen erlangen, was sie damals gesehen hatten. Um ein für alle Mal damit abschließen zu können.
Bei der nächstbesten Gelegenheit lenkte er seinen Wagen auf die Umgehungsstraße. Es war die kürzeste Strecke von ihm zu Hause zur Uni und die Strecke, die sie genommen hatten, als es passiert war. Seit Tagen knallte die Sonne vom Himmel, und die brütende Hitze hatte dem Boden den letzten Tropfen Feuchtigkeit entzogen: Die Straßenränder
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