Entsorgt: Thriller (German Edition)
aber zusammengenommen sprachen sie eine deutliche Sprache.
Was ihm am meisten ins Auge sprang, war die Ungezwungenheit ihres Zusammenseins. Falls er es sich nicht bloß einbildete, kam das sogar auf diesen hastig geschossenen Fotos zum Ausdruck. Die Bilder führten ihm etwas vor Augen, das er sich, bevor er sie gesehen hatte, nicht so recht eingestanden hatte: Er wollte Jenny, wollte mit ihr zusammen sein, und er war bereit, alles zu tun, um das möglich zu machen.
Im braunen Umschlag befand sich des Weiteren ein auffällig akkurat und salbungsvoll formulierter Brief. Er hatte ihn zunächst nicht verstanden, denn er war davon ausgegangen, dass man ihn um Geld erpressen wollte. Der Brief beschwor ihn, die Sünde in seinem Handeln zu erkennen. Er bezeichnete ihn als erkrankte Mikrobe in einer Welt, die von einer amoralischen Seuche heimgesucht wurde. Ob er die Bedeutung seines im Angesicht Gottes abgelegten Ehegelübdes nicht begreifen würde? War ihm nicht klar, was mit seiner unsterblichen Seele geschehen würde? Der Brief forderte ihn auf, seiner Frau alles zu gestehen, die Affäre zu beenden und das Beste aus seiner Ehe zu machen. Sollte er sich Tamsin nicht offenbaren, würde seine Frau die Nächste sein, die einen braunen Umschlag bekäme.
Er musste ihn ganze drei Mal lesen, bevor er verstand, dass er keinerlei Geldforderung oder Ähnliches enthielt. Der Brief besagte darüber hinaus, dass er in seiner Sünde nicht allein sei und noch früh genug herausfinden werde, warum.
Er war mit Mavis Ahern unterschrieben.
Kevin faltete den Briefbogen zusammen und steckte ihn gemeinsam mit den Fotos zurück in den Umschlag. Es war pures Glück, dass er und nicht Tamsin zu Hause war, als der Briefbote kam. Sonst hätte sie nämlich seine Post für ihn geöffnet, wie sie es immer tat. So schlimm war das mit den Fotos eigentlich nicht. Es war ganz und gar nicht schlimm. Innerhalb weniger Minuten hatten sie ihm geholfen, eine sehr einfache Entscheidung zu treffen.
Er kramte ein Päckchen Camel hervor – Schluss mit den albernen Light-Zigaretten – und zündete sich mit seinem pinkfarbenen Einwegfeuerzeug eine Zigarette an. Die Küche füllte sich mit Rauch. Er schnippte die Asche in seine halbvolle Kaffeetasse und wartete.
Irgendwann unterwegs hatte sie seine Hand ergriffen. Eine Geste, die er als überaus unschuldig empfand. Er versuchte sich auszumalen, was für ein Bild sie beide abgaben, er in Shorts, Chucks und mit Schlapphut auf dem Kopf, sie mit ihren langen schwarzen Gewändern und den Piercings, die das Sonnenlicht zu leuchtenden Nadelspitzen bündelten.
Wir sind ein Sinnbild für die grenzüberschreitende Kraft der Liebe.
Er grinste in sich hinein.
Ich muss verdammt betrunken sein.
Sie sprach während des Spaziergangs nicht besonders viel, und Ray war aufgrund des Alkohols und der Sonne derart entspannt, dass er sich dabei kein bisschen unwohl fühlte. Manchmal warf er einen Blick über die Schulter, um sich ins Gedächtnis zu rufen, welch seltsames Wesen da an seiner Seite schritt. Er wusste nicht das Geringste über sie, und es störte ihn überhaupt nicht. Er empfand die Anonymität sogar als aufregend. Wenn sie in diesen Momenten seinen Blick parierte und ihm völlig ungeniert geradewegs in die Augen sah, mussten sie beide lächeln. Das reichte Ray voll und ganz, um sich glücklich zu fühlen. Wenn der weitere Verlauf ihres gemeinsamen Nachmittags genau so aussah, konnte es nur gut werden.
Morgen, das wusste er bereits, wäre vieles, wenn nicht alles dem ewigen Vergessen anheimgefallen, zumindest von seiner Seite aus. Also ließ er sich voll und ganz in diese Augenblicke der Zweisamkeit fallen, sank hinein wie ein Mann, der aufhört zu schwimmen und sich auf den Grund des Sees sinken lässt. Und dort unten am Grunde des Sees stellt er fest, dass er immer noch atmen konnte.
Sie passierten andere Menschen, Läden, Straßenecken, alte viktorianische Häuser und Neubausiedlungen. Sie gingen Bundesstraßen entlang, dann über Landstraßen und ländliche Fußwege und erreichten schließlich, als eine zunehmende Unruhe an Rays alkoholgetränkten Nervenbahnen zu nagen begann, einen Wald. Mit geschürzten Röcken kletterte Delilah durch eine Lücke in einem verrosteten Stacheldrahtzaun. Ray bückte sich und folgte ihr.
Der Straßenlärm verebbte. Bald schon hörte Ray nichts anderes mehr als das Geräusch ihrer eigenen Schritte im trockenen Gras und morschen Unterholz. Ständig mussten sie sich unter
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