Entsorgt: Thriller (German Edition)
hast? Das Zeug ist ziemlich stark.«
»Ich wette, ich hab schon Stärkeres geraucht. Mach dir da mal keine Sorgen.«
Er beobachtete ein paar Sekunden, wie sie mit sich rang, ohne sich darum zu scheren, wie offensichtlich er sie dabei anstarrte. Sie schien einen Entschluss zu fassen.
»In Ordnung«, sagte sie. »Lass uns gehen.«
»Prima.«
Schwankend erhob sich Ray von der Bank. Sie gingen um das Pub herum Richtung Ausgang. Ray konnte nicht anders, als das Kanalufer nach Jenny abzusuchen. Aber sie war nicht mehr da. Der bloße Gedanke an sie schlug ihm derart aufs Gemüt, dass er die Sonne kaum noch spürte.
Ich werde nicht zulassen, dass du mir den Tag versaust, Jenny. Oder meinen Sommer. So viel hast du mir nun auch wieder nicht bedeutet.
Er richtete sich auf, gab jedoch sein Bemühen, möglichst gerade zu gehen, nach ein paar Metern wieder auf. Er kicherte.
»Hey, was hast du noch mal gesagt, wo wir hingehen?«, fragte er.
»Ich hab noch gar nichts gesagt.«
»Na gut. Und wo gehen wir hin?«
»Ins Grüne. Ich kenne einen wunderschönen Platz, wo wir völlig ungestört sind.«
»Cool«, antwortete Ray. »Total cool.«
Tammy hat Mavis immer als süße, herzensgute alte Dame betrachtet. Ein wenig vereinsamt, etwas schrullig vielleicht, aber ansonsten völlig harmlos. Jemand, den man gerne auf eine Tasse und ein Schwätzchen um sich hatte. Im Gegenzug für ein wenig nette Gesellschaft fiel es ihr nicht einmal besonders schwer, ihre gelegentlichen missionarischen Anflüge zu ertragen. In letzter Zeit allerdings, so war ihr aufgefallen, wirkte ihre Nachbarin zunehmend schroffer, irgendwie unnachgiebiger und verbissener. Das Wort »fanatisch« versuchte sie zu vermeiden. Es gab Gerede über Streitigkeiten mit Nachbarn auf offener Straße, und der eine oder andere munkelte, er hätte sie mit einem Fernglas am Fenster gesehen. Außerdem hatte sie wohl versucht, einige der örtlichen Jugendlichen in die Kirche zu zerren. Unter Anwendung körperlicher Gewalt.
Da lag die Schlussfolgerung nah, dass die einsame alte Kratzbürste langsam aus der Spur geriet. Wenn das Gespräch auf sie kam, war so ziemlich jeder der Überzeugung, sie hätte einen Sprung in der Schüssel.
Anfangs konnte Tammy nicht anders, als Mitleid für sie zu empfinden. Mavis war immer noch verhältnismäßig jung, auch wenn sie nicht so aussah, geschweige denn sich so verhielt. Sie schien keine Verwandten zu haben, zumindest nicht in der Nähe, und sollte sie tatsächlich psychische Probleme haben, wäre niemand da, der nach ihr sehen könnte. Sie würde vermutlich sabbernd und von unterbezahltem und ungeschultem Personal ignoriert in irgendeiner psychiatrischen Anstalt landen, von deren feuchten Wänden die grüne Farbe abblätterte.
Eine traurige Vorstellung. Zum ersten Mal musste Tammy darüber nachdenken, was sie unter solchen Umständen tun würde. Warum sollte es ihr im Alter nicht genauso ergehen können? Heutzutage schien jeder im Pflegeheim zu enden. Würde sie überhaupt mitbekommen, dass sie den Verstand verlor, oder glaubten Geisteskranke weiterhin fest daran, geistig voll da zu sein, selbst wenn ihr Hirn sich längst in Haferschleim verwandelt hatte? Die Vorstellung war zu beängstigend und zu deprimierend, um sich allzu intensiv damit auseinanderzusetzen. Schon deshalb, weil Tammy wusste, dass sie sich niemals erlauben würde, Kinder zu bekommen.
Als Mavis also eines Morgens, als Kevin nicht daheim war, an die Haustür klopfte, wurde sie mit einem herzlichen Lächeln empfangen.
»Guten Morgen, Tamsin«, sagte Mavis und verharrte auf der Stufe. »Könnte ich kurz mit dir reden?«
»Selbstverständlich. Komm doch rein und trink einen Kaffee mit mir. Ich hab mich schon gefragt, was du so treibst. Ich hab das Gefühl, es ist eine Ewigkeit her, seit wir zuletzt miteinander gequatscht haben.«
Tammy bemerkte den ernsten Ausdruck auf Mavis Gesicht, der für den Bruchteil einer Sekunde weicher zu werden schien, sich dann aber mit auffallender Strenge verfestigte. Sie verstand ihn nicht.
Tammy fragte so freundlich sie konnte: »Möchtest du deinen Kaffee lieber an der Frühstückstheke oder gemütlich in der Sofaecke?«
»Oh …«
Mavis behielt ihr zögerliches Verhalten bei, als sie Tammy durch den Hausflur folgte. Sie verharrte in der Küche, als Tammy das Wasser aufsetzte. Die Entscheidung war also gefallen.
Während sie die Tassen aus dem Schrank holte – für Mavis immer mit Untertasse – und die Thermoskanne mit
Weitere Kostenlose Bücher