Entsorgt: Thriller (German Edition)
längst, was sie für Gefühle bei ihm auslöste, und er wusste, dass sie es wusste. Es bedurfte keiner Worte mehr. Sie verstanden einander auch ohne. Da verliebte sie sich in ihn.
»Ich kauerte unter diesem Baum, und ihr Sperma lief aus mir heraus in den Dreck. Es lief und lief, und ich weiß noch, wie ich dachte: ›Ich werde schwanger werden, ohne zu wissen, wer der Vater ist.‹ Aber ich wurde nicht schwanger, und diese Millionen von Spermien starben hier im Dreck. Auf gewisse Art war es das, was mich hierher zurückführte. Dies war der Ort, an dem die Männer mich vergewaltigt hatten. Der Ort, an dem ich überlebt hatte. Es war der Ort, an dem ihre Macht im Boden versickert war, impotent und vergeudet. Dieser Ort gehörte mir und nicht ihnen. Ich nahm die Erde dieser Lichtung und reinigte mich damit. Und seitdem liebe ich nichts mehr, als in der Natur zu sein. Ich würde es jederzeit dem schönsten Palast der Welt vorziehen.«
»Und was ist mit diesem Gothic-Image? Das geht damit doch eigentlich gar nicht zusammen, oder?«
»Nein. Aber es hält die Menschen auf Abstand.«
»Hat bei mir aber nicht so ganz funktioniert.«
»O doch. Und wie es das hat. Aber du hast hinter die Maske gesehen. Du hast dich meiner als würdig erwiesen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre Handflächen und sah ihm in die Augen.
»Ray. Ganz gleich, was du vielleicht über dich denkst, ich kann sehen, wer du wirklich bist und wer du noch werden könntest. Ich hätte dir nichts von alldem erzählt, wenn ich nicht das allergrößte Vertrauen in dich hätte und nicht felsenfest an dich glauben würde.«
»D, ich hab die Uni sausen lassen. Ich hab keinen Job. Ich vergeude meine Tage mit Kiffen und Videospielen. Ich bin nichts und niemands würdig.«
»Dafür, dass du so etwas sagst, würde ich dir jetzt am liebsten eine runterhauen. Ich glaube an dich, Ray. Du bist bloß so, weil du Angst hast. Wenn du es schaffst, deine Angst zu überwinden, kann dir alles gelingen.«
»Welche Angst?«
Sie legte einen Finger auf sein Herz.
»Die, die du hier drin weggesperrt hast.«
Seine Tränen kamen wie aus dem Nichts. Es war, als hätte ihr Finger eine Art Auslöser betätigt. Spätestens jetzt wusste er, dass sie eine echte Hexe war, eine mächtige weiße Magierin, die den Schlüssel zu seinem Herzen besaß. Er drückte sein Gesicht wieder zwischen ihre Brüste und weinte, bis seine Tränen über ihren Bauch rollten.
Als die Tränen schließlich versiegten, erzählte er ihr alles.
Er erzählte ihr vom Müllmenschen.
Teil III
»Ehre Mutter und Vater mehr als alles andere …«
Eintrag aus Mason Brands Tagebuch vom 21. September 2001
17
Ray und Delilah hielten gemeinsam Ausschau nach dem Müllmenschen und seiner Brut.
Sie fahndeten in den Gassen und Seitenstraßen von Shreve und auf den Wegen und Pfaden des Landschaftsparks nach Hinweisen auf ihn. Manchmal fuhr Ray sie zum örtlichen Recyclingzentrum: vorgeblich, um dort Säcke voll mitgebrachten Mülls zu entsorgen. Tatsächlich suchten sie die Gruben und die Halden nach Zeichen von Bewegung ab.
Delilah zu berichten, was er gesehen hatte, hatte sich wie eine Beichte angefühlt. Als umso überraschender empfand er ihre Reaktion. Sie hörte aufmerksam zu und nickte von Zeit zu Zeit, als verstünde sie etwas, das ihm entging. Sie schien seinen Bericht auf die gleiche Art zu interpretieren, wie sie seine Träume zu deuten pflegte. Nachdem er fertig war, schwieg sie eine ganze Weile. Als sie schließlich zu sprechen begann, befiel ihn die Angst, sie würde ihm nun offenbaren, dass sie ihn für einen durchgeknallten Psycho hielt und ihn nie mehr wiedersehen wollte. Verglichen mit dem, was er für Jenny empfunden hatte, schien ihm nicht einmal die Eifersucht, die ihn im The Barge übermannt hatte, so überwältigend wie diese plötzliche Angst, Delilah könne ihn verlassen. Noch bevor sie auch nur ein Wort erwidert hatte, wurde ihm bewusst, wie sehr er sie liebte.
Dabei war es anfangs nicht mehr als ein harmloser Spaß, eine reine Affäre gewesen.
Und hier waren sie jetzt: Eng aneinander gekuschelt lagen sie nackt in Delilahs Bett. Sie erläuterte ihm die Gaia-Theorie, wobei sie das Erwachen einer neuen, übernatürlichen Macht geradezu zu begrüßen schien. Ray war nicht hundertprozentig bei der Sache. Er fragte sich, ob er den Mut aufbringen würde, ihr einen Heiratsantrag zu machen. So wie es aussah, eher nicht. Zumindest nicht in diesem
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