Entsorgt: Thriller (German Edition)
etwas Lebendiges zu fressen. Aber wenn sie kriegen, was sie brauchen – und zwar genug davon -, dann wachsen sie und werden schließlich so groß wie jenes, das du aus der Müllhalde hast kommen sehen. Weiß der Himmel, was das zu fressen hatte.«
»Dann sind sie böse«, warf Ray ein. »Räuberische, fleischfressende, böse Bestien. Wir müssen sie aufhalten.«
Delilah stieß ihn weg.
»Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein. Sie sind nicht böse, Ray. Sind Bären etwa böse? Oder Löwen und Krokodile? All diese Tiere sind in der Lage, Menschen zu töten, und einige von ihnen tun es auch. Aber macht sie das böse? Sie versuchen lediglich zu überleben.«
»Mag sein«, sagte er.
Er nahm ihr die Zigarette aus dem Mund und zog schweigend daran. Sie beobachtete ihn.
»Ich habe dich noch nicht überzeugt, stimmt’s?«
»Bis zu einem gewissen Grad schon. Aber du hast die Scheißdinger nicht gesehen, D. Vielleicht sind sie nicht im eigentlichen Sinn böse, aber wie sollen sie wissen, wann sie besser aufhören … sich zu ergänzen? Was ist, wenn sie es nie tun?«
Er drehte sich zu ihr um und sah sie an. »Was ist dann mit uns?«
Ihm war klar, dass sie versuchen würde, es herunterzuspielen. Er konnte in ihrem Gesicht lesen, dass auch sie sich eine gemeinsame Zukunft mit ihm wünschte. So glücklich ihn das stimmte, er begann dennoch eine nicht mehr zu leugnende Furcht zu verspüren. Da war etwas, greifbar und wertvoll, jetzt, hier, bei ihnen. Wahre Liebe. Da konnte er sich sicher sein, weil sein Körper und seine Seele voll und ganz darauf geeicht waren. Die Macht dieses Gefühls war die Grundfeste allen menschlichen Lebens. Aber mit dieser wunderbaren, glückspendenden Sache – quasi mit ihr verwoben – kam diese neue, schreckliche Möglichkeit: die Möglichkeit, dass er alles verlieren könnte, noch bevor er die Chance hatte, wahrhaft daran teilzuhaben. Es war ihm unmöglich, die Grausamkeit dieser Aussicht zu akzeptieren.
Doch welche schlagfertige Bemerkung ihr auch immer auf der Zunge gelegen hatte, sie sprach sie nicht aus. Vielleicht wollte sie die Wahrhaftigkeit ihrer Gefühle nicht mit Witzchen und Ironie herabwürdigen. Sie nahm ihm die Zigarette ab und legte sie in den Aschenbecher, wo sie weiterbrannte. Dann schlüpfte sie ein Stückchen tiefer unter die Bettdecke, bis ihre Köpfe auf einer Höhe lagen. Sie hielt sein Gesicht und küsste ihn. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, gab er sich ihrem Kuss hin. Verlor sich an sie.
Was hatten sie schon für eine Wahl?
Das Unkraut, das den Treidelpfad am Kanal überwucherte, hatte nach dem langen Sommer gerade erst begonnen, abzusterben. Brennnesseln lehnten sich an beiden Seiten über den Weg und bildeten einen schmalen grünen Korridor, der lediglich von den Spaziergängern und Anglern, die hier regelmäßig durchkamen, freigehalten wurde. Auf den Spaziergängen, die Jenny und Kevin seit seinem Einzug unternommen hatten, waren ihnen Eisvögel, Spechte und sogar einige Ringelnattern begegnet. Aber irgendwie schien sich die Tierwelt über die letzten paar Tage zurückgezogen zu haben. Er vermutete, dass es die zunehmend kühleren und kürzeren Tage waren, die dafür sorgten, dass die Tiere sich weniger aktiv zeigten.
Sie mieden den Landschaftspark. Kev machte lieber einen Bogen um sein altes Zuhause, und er nahm an, dass auch Jenny nicht gerade scharf auf eine Begegnung mit Tamsin war. Nichtsdestotrotz protestierte sie.
»Warum sollten wir auf unsere Gewohnheiten verzichten? Was kann sie schon machen?«
»Darum geht es nicht, Jen. Ich möchte erst einmal etwas Abstand. Und ich könnte ganz gut ohne eine unschöne Konfrontation auskommen. Ich brauche ein wenig Zeit, um einen klaren Kopf zu kriegen, um etwas für uns zu planen.«
Sie hatte ihn nicht weiter bedrängt. Als sie jetzt im Gänsemarsch hintereinander gingen, um den Brennnesseln auszuweichen, hatte Kevin das sichere Gefühl, dass alles genau so war, wie es sein sollte. Das Leben erschien ihm auf einmal erstaunlich simpel, und es war gut zu ihnen. Er griff hinter sich, und Jenny hielt einige Schritte lang seine Hand. Nur wenig weiter öffnete sich der Pfad. Zu ihrer Linken befand sich eine verwachsene alte Hecke, rechts von ihnen, am seichten Ufer des Kanals, wuchsen dichte Schilfbüschel. Sobald sie wieder genug Platz hatten, gingen sie nebeneinander. Kev legte seinen Arm um ihre Schulter.
»Ich habe nachgedacht, Jen. Warum ziehen wir nicht weg? Irgendwo aufs Land? Richtig
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