ENTWEIHT
auf. Dort bot uns eine tiefe Schlucht Schutz vor der Sonne. Maria Cilestu verkaufte Papierblumen. Eines Morgens zog sie mit ihrem Korb los ... und kam nicht wieder! Nun, das war für uns keineswegs etwas Neues. Hin und wieder geschieht es durchaus, dass jemand wegläuft – gut aussehende junge Männer, oder auch hübsche junge Mädchen, die vielleicht Angebote bekamen, die sie nicht ausschlagen konnten. Das Leben auf der Straße ist nicht immer leicht, müsst ihr wissen, und ich habe stets versucht, die Gefühle und Beweggründe all derer, die damit brechen wollten, zu verstehen. Aber auf einer so kleinen Insel, wie weit konnte Maria da wohl laufen? Ganz gewiss nicht sehr weit. Außerdem wollten wir ja noch eine Weile bleiben, also konnte sie es sich jederzeit anders überlegen und wieder zurückkehren.
Maria hatte ihren Vater nie kennengelernt, und ihre Mutter war schon vor geraumer Zeit gestorben. Ich persönlich machte mir wegen ihr keine allzu großen Sorgen, sie konnte schon seit eh und je gut auf sich aufpassen. Einigen der jüngeren Männer ging sie natürlich nicht aus dem Kopf, denjenigen, die ein Auge auf sie geworfen hatten, ihr wisst schon. Aber keiner konnte irgendwelche Ansprüche auf sie geltend machen. Außerdem bereitete mir die Insel an sich ohnehin bereits genügend Kopfzerbrechen.
Denn mein Riecher … Ich weiß nicht … wie soll ich sagen, irgendwie herrschte auf der Insel eine eigenartige Atmosphäre . Nun ja, natürlich – deshalb hatte ich meinen Stamm ja dorthin geführt! Aber nun, da wir dort waren ...
... da kamen die Träume – ich träumte von einem Lagerfeuer oder vielmehr einem Leuchtfeuer! Ich fand mich mitten in der Nacht wieder, wie ich an diesem riesigen Feuer stand und wartete! Mein ganzer Stamm war bei mir, doch alle drängten sich bebend zusammen und hielten sich aneinander fest. Fragt mich nicht, weswegen, denn ich mag nicht darüber nachdenken. Aber es waren unheilvolle Träume, und hinterher fühlte ich mich ganz krank.
Tagsüber war diese eigenartige Atmosphäre nicht minder greifbar, nachts hingegen ... ich hätte es niemals zugelassen, dass meine Männer ein Feuer entzünden! Was denn, Musik und Tanz? Und der Geruch gebratenen Fleisches, der in die Nacht aufsteigt? Nicht auf jener Insel, nein! Aus den griechischen Tavernen – aye, meinetwegen – aber nicht von einem Lagerfeuer, das mir gehört! Und doch vermochte ich noch nicht einmal zu sagen, weshalb ...«
»Ich schon«, meinte Lardis grimmig. »Du träumtest, was dir im Blut liegt, Vladi, Träume aus grauer Vorzeit, einer Zeit, als die Feuer deiner Ahnen noch die Wamphyri zum Festschmaus lockten. Ich habe dir davon erzählt, von damals, als sie nächtens kamen, um die Szgany-Lager auf der Sonnseite aufzuspüren. Und weshalb deine Leute bebten? Sie drängten sich aneinander, weil sie um die Bedeutung des Leuchtfeuers wussten. Es war ein Signalfeuer, dessen Schein dem Ferenc den Weg weisen sollte, deinem ›mächtigen Boyar‹. Es lud ihn ein, sich den Zehnten zu holen – seinen Tribut, den er in Blut erhielt!«
»Aber ...«
»... aber das war bloß in deinen Träumen«, fuhr Lardis fort. »In deinen wachen Stunden hingegen ließ dir dies keine Ruhe und du wolltest es nicht zulassen, dass irgendjemand ein Feuer entzündet! Demnach gibt es also noch Hoffnung für dich, alter König. Du weißt, was Recht ist und was Unrecht – im Gegensatz zu deinen Vorfahren.«
»Glaubst du das wirklich?« In Vladis Blick lag ein flehender Ausdruck.
Lardis nickte nur. »Erzähle weiter«, sagte er.
Vladi schwieg einen Moment. Dann zuckte er entschuldigend die Achseln. »Weiter gibt es nichts zu berichten. Meine Träume wurden schlimmer. Auf meinen Riecher konnte ich mich nicht mehr verlassen; anstatt mir denjenigen zu entdecken, den ich schon so lange suchte, hatte er mich in die Nähe von etwas Üblem, Bösem geführt. Da beschloss ich, das Lager abzubrechen und aufs Festland zurückzukehren. Und als wir den Ort verließen, blickte ich kein einziges Mal zurück.
An der Fähre wartete Maria auf uns. Aber sie war verändert. Den Rest kennt ihr ja – die Sache in dem Krankenhaus auf dem Festland, als sie darum bettelte, mit uns gehen zu dürfen, und wir sie ohne Erlaubnis mitnahmen … die Zeitungsleute … die Polizei … und jene Barmherzigen Schwestern … bah! In meinem Lager herrschte ein Kommen und Gehen wie an einer Großstadtkreuzung! Na ja, vielleicht nicht ganz so schlimm, aber schlimm genug.
Und als ich
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