ENTWEIHT
hatte – die Unterlagen über ihre Niederkunft und meine Geburt – und erzählte mir von dem Vermächtnis: dass ich der einzige ›legitime‹ Erbe des Vermögens der Francezcis sei.
Weshalb sie dies tat: weil das Wesen in der Grube unter der Manse Madonie das Ende der Gebrüder Francezci vorhergesagt hatte; und weil sie fürchtete, dass Antonios Irrsinn auch ihr Ende bedeuten könnte. Nicht dass sie Angst vor dem Sterben hatte, keineswegs – im Gegenteil. Denn nach allem, was sie im Dienst der Francezcis mitbekommen hatte, nach alldem, was sie über die Gräuel in und unter der Manse Madonie wusste, erschien ihr die Aussicht auf den Tod willkommen.
Nun denke mal nach, Garzia! Mein eigener Großvater – ein monströses Wesen, das so abstoßend war, dass sie es in einer Grube gefangen hielten – hatte den Untergang seiner Söhne, der Gebrüder Francezci, prophezeit. Prophezeit , ganz recht! Und nun begreifst du doch sicherlich, wo meine hellseherischen Träume ihren Ursprung haben! Siehst du, es passt alles zusammen!
Aber hör zu:
Nicht lange vor dem Ende, dem Einsturz der Manse Madonie, erzählte mir meine Mutter, dass die Francezcis einen gewissen Mann fürchteten. Ich wiederhole: Sie fürchteten einen Menschen, Garzia! Einen einzigen Mann. Er war in ihre Schatzkammer eingedrungen und hatte sie beraubt; meiner Mutter zufolge war dies unmöglich, und doch hatte er es geschafft. Ein Mann, der wie ein Gespenst nach Belieben auftauchen und wieder verschwinden konnte – er bewegte sich durch Steinmauern und Stahltresortüren hindurch, als wäre es Wasser beziehungsweise überhaupt keine Materie. Dabei bestand er, nicht anders als wir, aus Fleisch und Blut. Die Francezcis waren Vampire, Garzia, genauso wie wir, dennoch hatten sie Angst vor einem ganz ›gewöhnlichen‹ Menschen.
Er hatte auch einen Namen, dieser Kerl, eigentlich sogar zwei! Zum einen nannte er sich Harry Keogh, und zum andern Alec Kyle. Vielleicht waren es ja zwei Männer, die wie Gespenster kommen und wieder verschwinden konnten. Die beiden Brüder spürten ihm, oder vielmehr ihnen, nach und fanden heraus, dass er beziehungsweise sie einer Organisation namens E-Dezernat angehörte!
Ah! Das schreckt dich auf!« Bebend richtete Castellano einen schmalen Finger auf seinen Stellvertreter. »So langsam fängst du an zu begreifen, was sich da herauskristallisiert. Oh ja, Garzia, das E-Dezernat – ebenjene Organisation, die Lefranc vor wenigen Stunden erwähnte und unter deren Schutz Jake Cutter nun steht. Offenbar ist er also ein Agent dieses E-Dezernats.
Und sollte es noch irgendwelche Zweifel daran geben, habe ich weitere Beweise.
Ich sprach davon, dass meine oneiromantischen Fähigkeiten mich verlassen haben, dass ich in meinen Träumen nicht länger in die Zukunft zu schauen vermag; noch nicht einmal eine Andeutung, nicht den flüchtigsten Blick vermag ich zu erhaschen. Mein letzter Traum dieser Art liegt über einen Monat zurück. Seit drei Jahren kehrt er nun ständig wieder, aber noch nie hatte ich alles so deutlich gesehen.
Er zeigte mir zwei Gesichter nebst einem Schatten. Einen Mann, eine Frau und einen Schatten. Der Mann sah recht gut aus, die Frau war wunderschön, und der dritte war … nun, eben anders. So wie du und ich, Garzia, waren sie alle drei Vampire, und zwar große Vampire. Und sie befanden sich hier!
Den gut aussehenden Mann sah ich klar und deutlich vor mir. Er wohnte in einer Stätte hoch oben in den Bergen, die Xanadu hieß, so wie bei Kublai Khan, ganz recht. Das überprüfte ich natürlich, als ich wach war, und Xanadu existiert – oder vielmehr, es existierte – wirklich!«
»Jenes Glücksspiel-Paradies in Australien«, sagte Garzia. »Wohin du Alfonso Lefranc schicktest.«
»Dafür hatte ich zweierlei Gründe«, nickte Castellano. »Abgesehen von mir ist Lefranc der einzige Überlebende von Jake Cutters Rachefeldzug. Darum benutzte ich ihn zum einen als Köder – nicht anders als Frankie Reggio – um zu sehen, ob er Cutters Aufmerksamkeit nicht von mir ablenken könnte. Zum andern wollte ich unbedingt mehr über den Vampir-Gebieter von Xanadu in Erfahrung bringen. Aber ich muss zugeben, dass ich damals noch keine Ahnung hatte, dass Cutter oder vielmehr dieses E-Dezernat, für das er arbeitet, nicht nur an mir, sondern auch an anderen, die genauso sind wie ich, interessiert war. Das wäre so ungefähr das Letzte gewesen, womit ich gerechnet hätte!«
»Aber genau dies war der Fall«, sagte Garzia. »Und
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