ENTWEIHT
denen wir uns zurzeit umgeben, unsere sogenannten ›Soldaten‹, sondern Vampire, die ebenso sehr nach Leben gieren wie wir selbst.«
»Höchste Zeit, dass wir mit dem Rekrutieren beginnen«, nickte Garzia.
»Wie viele Männer«, fragte Castellano, »sind draußen in den Gärten?«
»Ein Dutzend«, erwiderte Garzia.
»Dann werden wir mit ihnen den Anfang machen«, sagte Castellano. »Ein kleiner Kern nur, der sich aber in den nächsten ein, zwei Tagen noch ausdehnen wird. Und was die Anonymität angeht: ›gleichbedeutend mit Langlebigkeit‹, nicht wahr? Zur Hölle damit, sage ich! Zum Teufel mit der Anonymität. Denn ich gehe davon aus, dass wir sehr bald um unser Leben kämpfen werden, Garzia!«
Der Blick seines Stellvertreters wanderte zu dem in den angrenzenden Raum führenden Türbogen, hinter dem erneut ein leises Stöhnen zu hören war. Erwartungsvoll fuhr er sich mit der Zunge über die rauen Lippen. »Luigi«, sagte er, »alles soll so geschehen, wie du es sagst. Doch zunächst, bevor wir uns diesen Dingen zuwenden, gibt es noch etwas, worum wir uns kümmern sollten.«
»Ja, das sollten wir«, pflichtete Castellano ihm bei, indem er sich auf die ihm eigentümliche Art in die angegebene Richtung beugte. »Denn das Blut ist das Leben, und schon viel zu lange haben wir uns zurückgehalten. Jetzt ist es Zeit, uns zu stärken. Komm ...«
Sie gingen nach nebenan, in einen von zahllosen Räumen in den labyrinthischen Kellern tief unter Castellanos Villa, die ihm zugleich als Festung diente, und blieben einen Moment vor dem Tisch stehen, auf dem Georgi Grusev lag. »Ein Russe ist er immer noch«, meinte Castellano, »aber kaum mehr ein Gentleman.«
»Falls er je einer war«, gurgelte Garzia, »dann sieht man es ihm jetzt jedenfalls nicht mehr an!«
Ihr nacktes Opfer war an Händen und Füßen an den Tisch gekettet. Der Mann war kräftig gebaut. Sein bleicher Körper wies um die Rippen, an den Knien, Knöcheln und Handgelenken schlimme Blutergüsse auf. Seine Finger und Zehen, an denen Garzia ihm die Nägel ausgerissen hatte, waren blutig-rote Klumpen, und aus seinen Ohren sickerte noch immer Blut. Auf der rechten Seite, wo die gebrochenen Rippen nach außen drückten, war sein Brustkasten stark angeschwollen.
»Sein Atem geht unregelmäßig«, sagte Garzia.
»Aber sein Puls ist immer noch kräftig«, entgegnete Castellano. »Und das ist das Einzige, was zählt.«
Rasch streiften sie dem Russen die Fesseln ab, banden ihm die Füße zusammen und hakten sie an eine von einem Flaschenzug an der Decke herabhängende Kette. Ohne innezuhalten, hievten sie Grusevs Körper mit dem Kopf nach unten, sodass die Arme und Hände herabbaumelten, senkrecht in die Höhe, bis sein Kopf sich gut zwei Meter über dem Boden befand. Während Castellano den Tisch beiseiteschob, stieg sein Gefolgsmann Garzia auf einen Stuhl und schnitt dem russischen Spitzel mit einem scharfen Messer die Kehle von einem Ohr bis zum anderen durch.
Als es warm und rot zu sprudeln begann, schubste Garzia den noch lebenden Körper an seiner Kette an, sodass er anfing, sich zu drehen, stieg von seinem Stuhl herunter, trat diesen weg und gesellte sich zu seinem furchteinflößenden, beängstigenden Gebieter. Castellano stand nackt, mit offenem Mund da. Aus blutroten Augen starrte er in grässlicher Ekstase zu seinem Opfer hinauf, während sein bleiches Fleisch von dem noch lebenden, im Kreis tanzenden Quell vampirischen Lebens durchtränkt wurde.
Und nun fand in den beiden Ungeheuern eine weitere Transformation – eine weitere Verwandlung gewissermaßen – statt. Castellanos und Garzias Münder standen gähnend weit offen; doch zusätzlich öffneten sich nun auch all ihre Poren, sodass ihre Gesichter und die ganzen Körper von klaffenden Löchern durchzogen waren – sie sahen aus wie Schwämme – um die hervorquellende Lebensessenz des angeblichen russischen Gentleman besser aufsaugen zu können …
TEIL DREI: BEGEGNUNGEN UND KONFRONTATION
DREIZEHNTES KAPITEL
IN FEINDESLAND
Am Samstagmorgen gegen zehn Uhr dreißig Ortszeit gingen in Keramoti Liz Merrick, Lardis Lidesci und Ian Goodly an Bord des in Russland gebauten Fährschiffs Krassos .
Vom unteren der beiden Aussichtsdecks aus sahen sie zu, wie gut einhundert Passagiere zu Fuß an Bord kamen, dazu noch zwei Reisebusse aus Deutschland und ein paar lange griechische Sattelschlepper. Allerdings waren so spät in der Saison weder das Fracht- noch die Passagierdecks zur Gänze belegt. Und
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