ENTWEIHT
er durch Jakes Augen von dem Zerstörungswerk mitbekam.
Doch Jake hörte gar nicht hin. »Sind Sie in Ordnung?« Mit einer Hand stützte er den alten Mann, mit der anderen tastete er ihn unauffällig nach einer Waffe ab.
Der Hausmeister blickte ihn an. »Was ist passiert?« Sein Blick wanderte hinab zu seinen Strümpfen. »Meine Schuhe! Ich habe sie … da drin vergessen?« Mit großen Augen blickte er auf die in Trümmern liegende Villa.
Abgesehen von seinen Schuhen war er mit Hemd, Hose und einer zerknitterten Sommerjacke völlig bekleidet. Offensichtlich hatte er ein Nickerchen gehalten. Zurückgezogen in der kühlen Düsternis des Hauses, hatte er sich nicht gerührt, darum hatte Jake ihn trotz des Nachtsichtgerätes auch nicht bemerkt.
»Ich sah, wie Sie aus dem Haus rannten«, log Jake. »Es brannte. Ich half Ihnen hier herauf. Womöglich hat Sie ja etwas am Kopf getroffen?«
Der Alte befühlte seinen Schädel. »Ich … ich weiß nicht. Ich glaube, ich hatte einen Albtraum. Etwas kam auf mich zugerannt, und im nächsten Augenblick befand ich mich auch schon hier. Dabei hätte ich überhaupt nicht schlafen dürfen! Ich werde meinen Job verlieren! Die schmeißen mich raus!«
»Die?«
»Die Agentur!« Der alte Hausmeister fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. Er stand unter Schock, aber so langsam kam er wieder zu sich.
»Was für eine Agentur?«, wollte Jake wissen.
»Die Agentur, für die ich arbeite«, erwiderte der Alte. »Ich passe auf die Häuser reicher Leute auf, wenn die Besitzer nicht da sind.«
»Und was ist mit Mister Castellano?« Jakes Stimme nahm einen harten Klang an. »Ist er denn nicht Ihr Arbeitgeber?«
»Äh? Mister Castellano? Den kenne ich nicht. Ich habe bloß seine Visitenkarte für den Fall, dass etwas passiert. Und jetzt … ist etwas passiert! Mon dieu! «
»Lassen Sie mal sehen!«, sagte Jake. Und der Alte, noch immer im Ungewissen, was eigentlich geschehen war, kramte in seinen Jackentaschen, bis er Castellanos Karte fand.
Jake warf einen Blick darauf.
Präge dir das ein, sagte er. Sowohl die Nummern als auch die Adressen.
Schon erledigt, erwiderte Korath prompt.
Merkwürdig, meinte Jake. Für eine Kreatur aus einer Welt, die so gut wie keine Verwendung für das geschriebene Wort oder Ziffern hatte, kannst du dir solche Dinge ziemlich gut merken.
Die Worte und Ziffern sagen mir gar nichts, entgegnete Korath. Ich präge mir bloß das Muster ein. Ein Vermächtnis von Malinari dem Hirn, das weißt du doch!
In der Ferne wurden Sirenen laut. Eine Fahrzeugkolonne raste aus Marseille heran, Scheinwerfer und Blaulichter reihten sich auf den Serpentinen aneinander.
»Hier haben Sie Ihre Karte zurück!«, sagte Jake. »Aber tun Sie mir einen Gefallen: Wenn Sie mit der Polizei sprechen, erwähnen Sie nichts von mir!«
»Aber Sie haben mir doch das Leben gerettet!«, widersprach der Mann.
»Geben Sie mir Ihr Wort darauf!?«
»Natürlich, wenn Sie darauf bestehen. Es ist das Mindeste, was ich ...«
»Aber wenn Sie Castellano anrufen«, unterbrach ihn Jake, »müssen Sie ihm unbedingt von mir erzählen!«
»Ich weiß ja noch nicht einmal, wie Sie heißen«, erwiderte der Alte.
»Sagen Sie ihm einfach, ein Engländer war hier, okay?«
Der Alte wirkte verblüfft, doch schließlich zuckte er die Achseln und nickte.
»Bis Feuerwehr und Polizei eintreffen, können Sie ruhig bleiben, wo Sie sind, und sich die Show ansehen«, sagte Jake. »Was mich betrifft, ich muss jetzt gehen.«
Der alte Hausmeister war in der Tat in den Anblick versunken – er sah zu, wie die Feuer niederbrannten, andere aufloderten und das, was von den Mauern der Villa noch übrig war, in der Gluthitze unter einer nur allmählich verwehenden pilzförmigen schwarzen Rauchwolke zerfiel. Als er begriff, was Jake da gesagt hatte, wandte er sich zu ihm um beziehungsweise dahin, wo Jake gestanden hatte, und fragte: »Gehen?«
Doch vielleicht hätte er besser die Vergangenheitsform benutzen sollen, denn Jake war längst verschwunden ...
TEIL VIER: PSEUDOERINNERUNGEN UND CHAOS
NEUNZEHNTES KAPITEL
JAKE ERINNERT SICH
Jake duschte, zunächst heiß, dann stellte er das Wasser allmählich immer kälter, bis es nicht mehr auszuhalten war. »Weißt du was?«, keuchte er. »Ich sterbe vor Hunger.«
Das Möbiuskontinuum, sagte Korath. Offenbar raubt es dir die Kräfte. Was mich hingegen betrifft – für mich kommt das nicht mehr infrage, überhaupt ist meine Situation ja ganz anders. Ich bin ausgehungert
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